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"Wer uns kennt, weiß, wie falsch das Behauptete ist"

Offener Brief des Direktors des Ostpreußischen Landesmuseums an Ernst Bögershausen

Hansestadt, 23.11.2012 - Dass die E-Mail, die Ernst Bögershausen am vergangenen Mittwoch abschickte, es in sich hat, war nicht erst durch die irritierte Reaktion einiger Empfänger erkennbar geworden, die unmittelbar darauf einsetzte. Bögershausen, Mitglied der Fraktion der Grünen im Lüneburger Stadtrat, hat in einer kurzen Protokollergänzung zum letzten Treffen des Lüneburger "Kulturstammtischs" empfohlen, die Arbeit des Ostpreußischen Landesmuseums (OL) kritisch zu begleiten, "um reaktionären Tendenzen gegebenenfalls entgegenzutreten". Jetzt hat ihm der Direktor des Museums, Dr. Joachim Mähnert, in einem offenen Brief geantwortet, den LGheute in Originallänge wiedergibt.

Am Mittwoch hatte Ernst Bögershausen in einer kurzen E-Mail an einen großen Adressatenkreis mitgeteilt, dass er als Ergänzung zum Protokoll der Sitzung des Kulturstammtischs vom 13. November darauf hinweist, "dass bei der erwähnten Diskussion nicht alle Zweifel an der inhaltlichen Ausrichtung des OL ausgeräumt werden konnten. Deshalb habe ich vorgeschlagen, dessen Arbeit auch zukünftig kritisch zu beobachten, um reaktionären Tendenzen gegebenenfalls entgegenzutreten." Bögershausen fügte diesem dann noch hinzu, dass das OL durch den Bund und das Land Niedersachsen gefördert werde.

Mit der E-Mail von Ernst Bögershausen scheint jetzt erneut der Konflikt zwischen Teilen des "Kulturstammtischs" und dem Ostpreußischen Landesmuseum aufzubrechen. Bereits im April dieses Jahres war es zu einem Eklat gekommen, nachdem sich die Mitglieder Dilli Dillmann und Prof. Dr. Kurt Bader gegen ein Treffen im Ostpreußischen Landesmuseum ausgesprochen hatten. Sie werfen dem Landesmuseum pauschal "große Nähe zu rechten Organisationen und sogar personelle Kontakte zur NPD" vor. Insbesondere kritisieren sie die Einflüsse der Landsmannschaft Ostpreußen, der Ostpreußischen Kulturstiftung und deren Stiftungsrat sowie des Förderkreises Ostpreußisches Jagdmuseum auf das OL.

Zwar fand das Treffen dann doch im OL statt, allerdings ohne Dillmann und Bader. Bögershausen hatte damals kein Verständnis für die Haltung der beiden Mitglieder aufgebracht und sich für eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Museum eingesetzt. Vor diesem Hintergrund erscheint die aktuelle E-Mail von Ernst Bögershausen für den Direktor des OL nachvollziehbar schwer verständlich.

Aufgrund der anhaltenden Diskussion um die inhaltliche Ausrichtung des Ostpreußischen Landesmuseums hat sich die LGheute-Redaktion entschlossen, die Antwort von Dr. Mähnert in Originallänge wiederzugeben.

E-Mail von Dr. Joachim Mähnert vom 23.11.2012:

Lieber Herr Bögershausen,

wie bereits telefonisch besprochen sehen Sie mich über Ihre vorgestrige Email zutiefst irritiert – übrigens auch angesichts des gewählten Email-Verteiler, der nicht der des Kulturstammtisches (KuSta) ist, welcher mal das von Ihnen angesprochene Protokoll bekommen hat (selbst deren Verfasserin fehlt), sondern ein mir unverständlicher anderer, in dem sich aber auffällig viel Presse findet. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Natürlich ist es sinnvoll, auf Korrektur eines Protokolls hinzuweisen, wenn die Kernbotschaft des eigenen Beitrags nicht gewährleistet ist. Mich stört aber der Inhalt: Ihnen ist es offenbar von großer Wichtigkeit darauf hinzuweisen, dass a) die "inhaltliche Ausrichtung des OLs" zweifelhaft sei und b) wir deswegen unter einer Art besonderer Beobachtung zu stehen hätten.

Dies – nett formuliert – verwundert mich. Ich habe den Kulturstammtisch als ein offenes Forum von Kulturschaffenden interpretiert, dem wir uns gerne angeschlossen hatten, gerade weil immer wieder falsche Gerüchte über uns in die Welt gesetzt werden. Sie sehen uns aber ganz offenbar nicht in einer gleichberechtigten Rolle aller Teilnehmer, sondern weisen dem Kulturstammtisch die Rolle zu, unsere Arbeit beobachten, ja zu bewerten zu können oder gar zu müssen – für mich eine Stigmatisierung unserer Arbeit, man fühlt sich wie eine Art Schwerverbrecher auf Ausgang. Ihr Parteikollege Herr Völker hat mir immer versichert, dass der KuSta eine für alle offene Initiative sein soll. Die Forderung nach einer Ausgrenzung des OL kam bislang auch nur von 2 Einzelstimmen aus dem KuSta, von deren Haltung und Methoden Sie selbst sich ja dankenswerterweise deutlich und öffentlich distanziert haben. Aber dies ist schon die 2. Mail von Ihnen an einen großen Verteiler, die meiner Meinung nach mit unterschwelligen Vorwürfen arbeitet und uns anprangert bzw. uns scheinbar eine Art Rechtfertigungszwang aufnötigt. Was soll das?

Wir sind es langsam müde. Im KuSta hatte sich im April eine klare Mehrheit gegen eine solche „Diskussion“ über uns ausgesprochen. Wir haben dennoch, gerade um all diese unsinnigen Vorurteile aus der Welt zu schaffen, gerne und von uns aus dem KuSta angeboten, unsere Arbeit und Strukturen öffentlich vorzustellen, um allen kritischen Stimmen gerecht zu werden. Wir haben ja auch nichts zu verbergen, im Gegenteil. Dieser Termin hat jetzt stattgefunden, Sie und Herr Völker waren dabei. Die schwache Beteiligung bei dieser Präsentation kann wohl dem geringen Interesse des KuSta an all diesen unfairen Angriffen gegen uns zugerechnet werden, was auch nicht wirklich überrascht, da wir mit sehr vielen der Kulturschaffenden in Lüneburg seit Langem gut und vertraut zusammenarbeiten. Wer uns näher kennt, weiß, wie falsch das immer wieder Behauptete ist. Meiner persönlichen  Meinung nach hat die Kulturszene in Lüneburg und ggf. damit auch der KuSta ehrlich gesagt auch andere, dringendere Probleme – ich glaube nicht, dass Sie dem KuSta mit solchen Email einen Gefallen tun. Dass zudem die Kritiker sämtlich nicht erschienen sind und erkennbar das Gespräch verweigern (was sie nicht hindert, via Massenemail und Leserbriefen kontinuierlich zu stänkern), spricht wohl für sich. 

Und nun das. Ihre Email drückt ein kontinuierliches Misstrauen aus. Die Ausgrenzungsbestrebungen der genannten Kritiker werden nun dank Ihrer Emails Erfolg haben, obwohl Sie selber im persönlichen Gespräch solchen Intentionen immer widersprechen. Aber warum sollen wir uns in ein Gremium einbringen, das uns stetig angreift?

Grundsätzlich stört mich an Ihrer Email, dass Sie Ihre Bedenken, die Sie, wie Sie mir vorgestern mitteilten, an der Person Wilhelm von Gottbergs festmachen und damit mittelbar an der Ostpreußischen Kulturstiftung (OKS) in Gänze, mit der „inhaltlichen Ausrichtung des OL“ verknüpfen. Wir haben dem KuSta im Oktober unsere Arbeit der Öffentlichkeit breit und umfassend vorgestellt, wir haben uns allen Nachfragen gestellt. Meiner Erinnerung nach waren allen Zweifel an der „inhaltlichen Ausrichtung des OL“ nicht nur ausgeräumt, im Gegenteil, unsere Projekte sind an diesem Abend sogar mit höchstem Lob (es fiel z.B. der Begriff „Avantgarde“) versehen worden. Sie werden sich vielleicht erinnern: Es kam sogar die Frage auf, wie es bei dieser guten Arbeit des OL überhaupt zu einer fortgesetzten Kritik kommen kann.  

Als Direktor bin ich derjenige, der seit meinem Amtsantritt im Frühjahr 2009 die „inhaltliche Ausrichtung“ des Museums vertritt. Zweifel an den Inhalten sind Zweifel an meiner Arbeit und meiner Person. Ich muss daher Ihre Kritik entschieden zurückweisen. Ich bin zudem Vorstandsmitglied der OKS. Für ihren Stiftungsrat sowie den darin vertretenen Personen bin ich aber naturgemäß nicht verantwortlich. Wenn Sie die OKS kritisieren wollen, benennen Sie das bitte so und setzen Sie bitte OKS und OL nicht gleich.

Natürlich hat die OKS Einfluss auf das OL – sie ist die Trägerstiftung. Aber wenn Sie unsere Arbeit gutheißen (das haben Sie getan), sollten Sie eigentlich logischerweise zu dem Schluss kommen, dass wir von der OKS insoweit inhaltlich unabhängig operieren, dass sich der Einfluss von Personen, die Sie kritisieren, nicht negativ auswirkt oder es diesen negativen Einfluss einfach nicht gibt.

Ich erinnere daran, dass der Stiftungsrat der OKS vorrangig über Geld und wissenschaftliches Personal entscheidet. Alle Entscheidungen hierzu (z.B. Einstellungen / Entlassungen) sind ausdrücklich nur mit Zustimmung der öffentlichen Hand (Vertreter der Bundesrepublik, des Landes Niedersachsens und des Landes Bayern) möglich, da es hierzu unmissverständliche Regeln in der Satzung der OKS gibt. Unterstellen Sie auch den Vertretern der öffentlichen Hand reaktionäre Tendenzen?

Aber diese Unterstellung ist ja an sich schon grober Unfug. Zahlreiche unabhängige Experten – Museumsfachleute, Wissenschaftler und nicht zuletzt unsere zahlreichen Partner in Litauen, Polen und Russland – haben uns wiederholt unsere moderne, zukunftsorientierte, ja europäische Arbeit im Sinne der grenzüberschreitenden Versöhnung und Völkerverständigung bestätigt – das klare Gegenteil von „reaktionären Tendenzen“. Auch alle Anwesenden bei unserer Oktober-Vorstellung sind meines Wissens zu diesem Ergebnis gekommen, Sie eingeschlossen. Natürlich gibt es Kritiker des Museums. Manche sind erkennbar politisch motiviert, manche Vorwürfe haben aus meiner Sicht eine Neidbasis, andere sind mit einem persönlichen Scheitern verbunden. Entsprechend belastbar und begründet  sind all diese Vorwürfe. Mit den für jedermann einsichtbaren Fakten unserer Museumsarbeit haben sie jedenfalls nichts zu tun. Sollte man nicht eine Einrichtung an dem messen, was sie tut?

Sie haben mir jetzt davon berichtet, dass es Leute gibt, die unser Museum grundsätzlich als Fremdkörper in Lüneburg empfinden. Diesen Leuten geht es also ums Prinzip, nicht um die Qualität unserer Arbeit. Hier erübrigt sich dann aber jede Diskussion. Dann braucht man uns auch nicht zu beobachten. Das sich in einer solch prinzipiellen Ablehnung ausdrückende Kultur- und Geschichtsverständnis macht mich zudem ein wenig ratlos. Natürlich gibt es immer individuelle Positionen, welche Form von „Kultur“ gut oder schlecht ist und welche es verdient, gefördert zu werden. Manche Bürger finden z.B. das Theater für Lüneburg zu teuer, andere kritisieren den Museumsneubau; den einen sind Street-Art und Soziokultur über-, anderen dagegen unterfinanziert und manche wollen am liebsten gleich die gesamte  Kulturförderung abschaffen zugunsten von Kita-Plätze oder Straßenbau. Ein Kulturstammtisch sollte sich auf dieses Niveau nicht einlassen, so hatte ich diese Initiative jedenfalls mal verstanden.

Zudem ist eine solche Position inhaltlich grundverkehrt. Das OL belastet den städtischen Kulturetat nicht, bereichert aber ohne Zweifel das Kulturleben. Es organisiert in erheblichem Umfang Ausstellungen und andere Aktivitäten von überregionaler Ausstrahlung. Fremdkörper? In Lüneburg hat jeder Zweite familiäre Wurzeln, die im ehemals deutschen Osten liegen, die meisten davon Ostpreußen oder Schlesier, und immer mehr Menschen interessieren sich für ihre Familiengeschichte. Und: Lüneburg war als Hansestadt seit dem Mittelalter viele Jahrhunderte lang mit den Ostseeanrainerländern eng verbunden. Und heute, im globalisierten 21. Jh., soll das Museum, zudem demnächst mit deutschbaltischer Abteilung, nicht hierher passen? Schon ein starkes Stück.

Schauen Sie sich mal allein eine kleine Auswahl unsere Abendveranstaltungen der aktuellen 14 Tage an:

1)     Ein Konzert des Fortbildungszentrums für Neue Musik (von und mit Helmut Erdmann), das in der neuen Musikschule keine Heimstatt gefunden hat und dringend neue Räume sucht, bei uns aber wenigstens regelmäßig auftreten kann;

2)     Die Lesung der 102jährigen Elfriede Brüning als wirklich beeindruckende Zeitzeugin, die wir extra aus Berlin hierher holten. Ein aufregendes Leben, sie wurde von den Nazis verfolgt, da sie im kommunistischen Widerstand war. Von der Lesung wurde sogar in der Berliner Presse und in überregionalen Medien berichtet;

3)     Friedrich Dönhoff, der sein neues Buch über seine Tante Marion Gräfin Dönhoff und ihre Arbeit als Zeit-Herausgeberin und Unterstützerin der SPD-Ostpolitik unter Brandt vorstellte;

4)     Der große Journalist Klaus Bednarz (langjähriger Monitor-Chefredakteur) stellt kommenden Mi seine Freundschaft mit Lew Kopelew vor.

In meinen Augen ist das Kulturarbeit für Lüneburg auf höchstem Niveau. Modern, zukunftsträchtig und ganz gewiss alles andere als reaktionär. Und kostet Lüneburg keinen Cent. Und ich könnte die Liste lange, lange fortsetzen, von großen Ausstellungen, von der äußerst erfolgreichen modernen Museumspädagogik über unsere grenzüberschreitende Kulturarbeit und, und, und…

Nehmen Sie es mir nicht übel: Ich kann nur darum bitten, Ihre Zweifel, die mir wesentlich aus den Vorbehalten der 1980er Jahre zu entstammen scheinen und von Einzelpersonen mit offensichtlichen Partikularinteressen immer wieder neu angefacht werden, irgendwann einmal über Bord zu werfen. So weit ich das beurteilen kann, also zumindest die letzten Jahre, entbehren sie jeder Grundlage. Bitte: Schauen Sie einfach mal nach vorne.

Ich kann nur vermuten, dass Sie selbst in Ihren persönlichen politischen Netzwerken ein Getriebener sind. Aber, um es mit Kant zu sagen: Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen. Das Museum, institutionell gefördert von der Bundesrepublik Deutschland und dem Land Niedersachsen, ist meiner Meinung nach ein Schmuckstück für Lüneburg, auf das man stolz sein kann und das es nicht verdient, mit irgendwelchen abstrusen Verschwörungsängsten und düsteren Vermutungen konfrontiert zu werden.

Übrigens: Gerne können (und sollen) Sie kritisch das gesellschaftliche und kulturelle Leben in Lüneburg beobachten, um reaktionäre Tendenzen frühzeitig zu erkennen. Aber das sollten Sie immer und überall tun – nicht nur beim OL. Diese Fokussierung ist grundverkehrt.

Zuletzt: Die Mühe, die ich mir mit dieser langen Email gemacht habe, dürfen Sie als Ausdruck meiner bisherigen Wertschätzung Ihrer Person ansehen – die zu enttäuschen Sie sich gerade richtig Mühe geben. Ich hoffe, jetzt ist endlich Schluss mit den Vorwürfen und wir können uns unserer eigentlichen Kulturarbeit wieder widmen, anstatt uns untereinander mit Misstrauen und Angriffen zu begegnen.

Beste Grüße, J. Mähnert