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"Mitte Juni müssen Sie das Haus geräumt haben"

Stadt informierte über aktuelle Situation in der Frommestraße - Zukunft für Bewohner offen

Hansestadt, 21.04.2012 - Es war keine angenehme Aufgabe, die Oberbürgermeister Ulrich Mädge gestern Abend im Lüneburger Glockenhaus erwartete. Die Stadt hatte Bewohner und Anwohner der Frommestraße eingeladen, um über die dramatische Entwicklung in der von neuen Senkungen betroffenen Straße zu informieren - und den Bewohnern des Hauses Frommestraße Nr. 5 mitzuteilen, dass sie bis Mitte Juni ihre Wohnungen räumen müssen.

"Wir haben Zeit mitgebracht, wir verstehen Ihre Probleme, wir verstehen Ihre Sorgen." Mit diesen Worten leitete Oberbürgermeister Ulrich Mädge den Informationsabend ein, der am Ende vier Stunden dauerte und bei den Betroffenen, den Bewohnern des einsturzgefährdeten Hauses Frommestraße Nr. 5, nicht nur den Eindruck hinterließ, ernst genommen zu werden, sondern auch die klare Botschaft, dass für sie die Zeit in der Frommestraße abgelaufen ist.

Denn so verständnisvoll sich der Oberbürgermeister an diesem Abend auch zeigte, so eindeutig war er auch: "Bis Mitte Juni müssen Sie das Haus verlassen haben." Bis dahin könne die Stadt aufgrund der jetzt vorgenommenen Sofortmaßnahmen noch für die Sicherheit der Bewohner garantieren, danach nicht mehr. Denn das Haus Nr. 5 ist aufgrund fortgeschrittener Senkungen und Verschiebungen im Untergrund deutlich mehr zu Schaden gekommen, als bisher zu erwarten war. Die neuen Fakten hatte ein Gutachten ergeben, das die Stadt erst vor kurzem in Auftrag gegeben hatte (LGheute berichtete) und das die bisherigen Einschätzungen aller Beteiligten über Bord warf. Das Ergebnis: "Die Standsicherheit des Gebäudes kann nicht mehr garantiert werden."

|| Messergebnisse wurden immer schlechter ||

"Mich hat das Ergebnis des Gutachtens kalt erwischt", räumte Lüneburgs Stadtbaurätin Heike Gundermann gestern ein. Bislang habe man nicht davon ausgehen können, dass sich die Situation derart stark verändern würde. Die Stadt prüft seit 1994 die Bewegungen im Bereich des Senkungstrichters. Mehr als 700 Messpunkte sind dazu eingerichtet worden, die regelmäßig kontrolliert werden. Nachdem im Jahr 2009 die Messwerte von zuvor 1 bis 2 Zentimeter im Zweijahresabstand auf dann 2 Zentimeter pro Jahr und in 2010 und 2011 sogar auf 3,7 bzw. 3,5 Zentimeter pro Jahr gestiegen waren, wurden auch die Kontrollintervalle entsprechend verkürzt. Im Bereich der Frommestraße wurde zuletzt alle zwei Wochen kontrolliert. Der aktuelle Wert für 2012 beträgt 0,7 Zentimeter, ein deutliches Zeichen dafür, dass der Untergrund immer noch nicht zur Ruhe gekommen ist.

Die größte Gefahr, so Gutachter Christian Mädge vom beauftragten Statikbüro WK-Consult, gehe vom Keller aus. Da Haus Nr. 4 immer mehr absacke - inzwischen ist der Spalt zwischen den Häusern Nr. 4 und Nr. 5 an seinem oberen Ende auf 80 Zentimeter angewachsen - droht jetzt die Kellergeschossdecke von Nr. 5 einzustürzen. Ursache dafür ist ein Stahlträger in der Kellergeschossdecke, der sowohl auf einer Stützwand von Haus 4 als auch von Haus 5 aufliegt. "Wir gehen davon aus, dass der Träger aufgrund des bereits erfolgten Versatzes schon nicht mehr auf seiner ursprünglichen Position liegt", erklärte Gutachter Mädge. Wie weit er sich bereits bewegt habe und ich welche Richtung, könne nicht gesagt werden. Jede weitere Bewegung aber könnte den Gesamteinsturz des Hauses auslösen.

|| Haus durch Riss geteilt ||

Offenbar geworden sei die dramatische Situation am Haus Nr. 5 durch eine Rissbildung, die sich bereits über Dreiviertel des Hauses von oben nach unten erstrecke und das Gebäude schon zweigeteilt habe. Sie ist Folge des Abdriftens von Haus Nr. 4, das selber aber aufgrund eines künstlich angelegten Korsetts und einer untergelegten Bodenplatte noch über eine ausreichende Standsicherheit verfüge. "Durch die Rissbildung ist die Steifigkeit des Hauses Nr. 5 nicht mehr gegeben", so der Gutachter. Dies könne dazu führen, dass sich bereits erkennbare Risse an den Fensterstürzen weiter vergrößern und es zu lokalen Einstürzen von Bauteilen kommt mit der Folge eines "Reißverschlusseffekts", der dann ebenfalls das gesamte Gebäude einstürzen ließe.

Die Brisanz der Situation wurde deutlich, als Gutachter Mädge klarstellte, warum die Stadt die Sofortmaßnahmen eingeleitet hat: "Das Haus hätte jede Sekunde einstürzen können." Doch auch die Sofortmaßnahmen stellen für das Haus letztlich keine Rettung mehr dar. Nur für eine Übergangszeit von maximal zwölf Wochen, also bis Mitte Juni, geben sie die erforderliche Sicherheit, um das Gebäude weiterhin betreten zu können.

Bis dahin müssen die Bewohner eine neue Bleibe gefunden haben. Und Oberbürgermeister Mädge ließ keinen Zweifel aufkommen, dass er eine weitere Nutzung des Gebäudes über diesen Termin hinaus nicht zulassen werde. "Ich bin für Ihre Sicherheit verantwortlich. Deshalb bitte ich Sie, das Gebäude bis Mitte Juni zu räumen".

|| Lösung Schlieffen-Kaserne? ||

Wo die rund 30 Frommestraßen-Bewohner dann wohnen sollen, blieb gestern Abend offen. Mädge versprach aber, ihnen bei der Suche nach einer neuen Unterkunft zu helfen, die ihnen auch den Zusammenhalt der Frommestraßen-Gemeinschaft ermöglicht. Im Blick hat der Oberbürgermeister dabei die Schlieffen-Kaserne, "auch wenn dort zweitweise die Castor-Polizisten stationiert sind", was gestern Abend dann doch noch für Erheiterung bei der Schicksalsgemeinschaft sorgte.

Als erste Notlösung bot Mädge den Bewohnern Wohnungen an, die von den stadteigenen Wohnungsgesellschaften zur Verfügung gestellt werden könnten, und sagte auch Hilfe beim Umzug zu. Forderungen der Bewohner zur Rettung des einsturzgefährdeten Hauses durch Maßnahmen wie bei Haus Nr. 4 erteilte er aus wirtschaftlichen Erwägungen jedoch eine deutliche Absage. "Wir können und werden das nicht tun, aber wenn Sie jemanden finden, der in dieses Haus investieren will, sind wir gern bereit, den Bauantrag zu prüfen."

Lesen Sie hierzu auch den Kommentar.