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"Welche Art von Stadt wollen wir sein?"

Rat diskutiert über Umbenennung der Hindenburgstraße - Fraktionen beziehen Position

Lüneburg, 04.03.2013 - Darf, sollte oder muss eine Stadt ihre Straßen umbenennen? Sollte sie es überhaupt dürfen, und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen? Keine leichte Aufgabe, die sich der Rat der Hansestadt Lüneburg am vergangenen Donnerstag vorgenommen hatte bei der Frage, ob die Hindenburgstraße weiterhin Hindenburgstraße heißen soll. Ein einfaches Ja oder Nein war daher auch nicht zu erwarten, eine Entscheidung gab es dennoch. Doch zuvor zeigte die Diskussion, dass es weniger um die Person Hindenburgs als vielmehr um die Frage geht: Welche Art von Stadt wollen wir sein?

Zwei Anträge zur Umbenennung der Hindenburgstraße lagen auf dem Tisch: Zum einen ein Antrag der Links-Fraktion, die sich für eine sofortige Umbenennung einsetzte, und ein Antrag der Mehrheitsgruppe von SPD und Grünen. Diese sprach sich dafür aus, vor einer Umbenennung zunächst die Rolle Hindenburgs in der deutschen Geschichte untersuchen und ein grundsätzliches Verfahren entwickeln zu lassen, um bei weiteren Diskussionen leichter zu einer Entscheidungsfindung im Rat zu kommen.

|| "Wie wir uns als Stadt jetzt und in Zukunft darstellen wollen" ||

Friedrich von Mansberg, Mitglied der SPD-Fraktion, machte am Donnerstag den Aufschlag. Er stellte in seiner Rede fest, dass die Diskussion um die Hindenburgstraße zwar auch die historisch korrekte Einordnung Hindenburgs betreffe, dass die Stadt dabei aber nicht stehen bleiben dürfe. Die Diskussion müsse vielmehr deshalb geführt werden, "weil es unser Selbstverständnis berührt, weil es mit der Frage zu tun hat, wie wir uns als Stadt jetzt und in Zukunft darstellen wollen."

Wofür Lüneburg heute stehe und was die Haltung der Stadt  von Hindenburg unterscheide, fasste von Mansberg in vier Begriffen zusammen: Verständigung und Toleranz, demokratische Kultur und ein friedfertiges Miteinander - Anforderungen, denen Hindenburg nach dem Verständnis von Mansbergs nicht gerecht geworden sei.

Von Mansberg plädierte daher für einen offenen Dialog, wie er bereits in Münster geführt worden ist und der dort mit der Umbennenung des Hindenburgplatzes in Schlossplatz endete. "Einen ähnlichen Dialog wollen wir auch hier in Lüneburg in Gang setzen", so von Mansberg, der versprach, dabei den neuesten Stand der Forschung heranzuziehen und die Stadt wissenschaftlich begleiten, informieren und beraten zu lassen.

"Wir wollen diesen Straßennamen nicht einfach verschwinden lassen, sondern wir wollen, dass wir alle miteinander wissen, warum wir dies gegebenenfalls tun", so von Mansberg.

Und er machte deutlich, dass diese Diskussion mit der Hindenburgstraße nicht beendet sein wird. "Wir müssen in diesem Zusammenhang aber auch gemeinsam darüber nachdenken, wie wir zukünftig und grundsätzlich mit eventuell 'belasteten' Straßennamen umgehen wollen." Dabei soll im Mittelpunkt die Frage stehen: "Welche Art von Stadt wollen wir sein? Welche Signale wollen wir senden? Und passen die Namensgeber unserer Straßen dazu?"

Auch wie die Diskussion zu verlaufen habe, legte von Mansberg fest: Als "Instrument der Geschichtsaufarbeitung" kämen Straßennamen nicht in Betracht, denn sie verwiesen auf die Verdienste einer Person und eigneten sich nicht zur kritischen Würdigung einer komplexen Persönlichkeit. "Und das wird auch durch die Anbringung von Hinweisschildern nicht anders", so von Mansberg.

|| "Wenn man es zuende denkt, endet es im Bücherverbrennen" ||

Grundsätzliche Zustimmung zu dem von von Mansberg beschriebenen Vorgehen kam von der CDU. Ihr Fraktionsmitglied Dr. Gerhard Scharf begrüßte zudem den Vorschlag der Stadtverwaltung, hierbei auch die Leuphana Universität mit einzubeziehen. Zugleich warnte er davor, sich bei der fachlichen Expertise nur auf eine einzelne Stimme zu verlassen: "Das Spektrum der wissenschaftlichen Äußerungen zu diesem Thema ist sehr breit."

Scharf hob hervor, dass Geschichte nicht nur aus dem Blick der heute Lebenden betrachtet werden dürfe, dies werde der Situation der damals Handelnden nicht gerecht. Auch stellte sich Scharf gegen die Auffassung, dass Geschichte dadurch bewältigt werden könne, indem Straßen umbenannt und Denkmale entfernt werden. "Wenn man dies zuende denkt, endet es im Bücherverbrennen", sagte Scharf und erntete dafür heftige Kritik nicht nur von der SPD.

"Geschichte aufarbeiten macht Mühe", sagte Scharf und erklärte, dass seine Fraktion auch deshalb den Antrag der Mehrheitsgruppe unterstütze.

|| "Ich empfinde Schrecken bei dem missionarischen Eifer" ||

Klare Worte fand auch Birte Schellmann, Fraktionsvorsitzende von FDP/Bündnis 21 RRP.  Mit Blick auf die nicht nur in Lüneburg stattfindenden Straßenumbenennungen sagte sie: "Bei diesem bundesweiten Vorgehen empfinde ich Schrecken dabei, wie das geradezu mit missionarischem Eifer geschieht. Jeder, der sich hier nicht unterordnet und nicht mitmacht, weil er auf die weit vielschichtigere, umfassendere und widersprüchlichere Realität verweist, als sie heute wahrgenommen wird, wird als Bagatellisierer der deutschen Vergangenheit, ja sogar als Verharmloser der Nazi-Vergangenheit gebrandmarkt."

Schellmann beklagte aber nicht nur, dass heutige Diskussionen zu diesem Thema mit Vorurteilen belastet seien, sie forderte ebenso wie Dr. Scharf, dass bei der Bewertung der Vergangenheit damaliges Wissen, geltende Werte und Überzeugungen zugrunde zu legen seien, die nicht durch heutige Kenntnisse und Beurteilungsmaßstäbe ersetzt werden dürften.

Insbesondere sei es "dieses belehren wollende Verhalten", das sie abschrecke. Diskussionen wie jetzt über die Hindenburgstraße halte sie dennoch für richtig. "Das entspricht auch unseren Werten, zu denen sich unsere Zeit offiziell bekennt: die Meinungsfreiheit, die jedem zugestanden wird." Sie setze daher auf den von seinen Verstandeskräften ungehindert Gebrauch machenden Bürger. Hingegen brauche die Stadt nicht "diesen emotionalen moralgesättigten Konformitätsdruck von oben", den Schellmann in der von SPD und Grünen angestrebten "Gesamtlösung", wie es in dem Antrag der Mehrheitsgruppe heißt, zu erkennen glaubt.

Die Einbeziehung der Bürger bei diesem Thema hält auch Schellmann für wichtig, doch dürfe der nicht so enden wie bei der Befragung der Anlieger der Landrat-Albrecht-Straße, deren Votum zwar abgefragt, aber letztlich nicht berücksichtigt wurde, "weil wir von oben entschieden haben."

Das Beispiel der Stadt Münster habe gezeigt, wie es gehen könne, doch sei auch diese Vorgehensweise unbefriedigend geblieben, "da es die Bürgerschaft nicht versöhnt hat", wie Schellmann feststellte.

|| "Immer noch eine Adolf-Hitler-Straße" ||

Die von CDU und FDP geforderte Bewertung historischer Zusammenhänge wollte Torbjörn Bartels von den Piraten nicht akzeptieren. Personen der Zeitgeschichte wie Hindenburg seien eben nicht nur aus der damaligen Zeit zu betrachten,  "sonst hätten wir in Lüneburg immer noch eine Adolf-Hitler-Straße", so Bartels.

Ernst Bögershausen von den Grünen bemerkte, dass die Erinnerungskultur in Deutschland im Wandel sei. Sechs Jahrzehnte nach dem Holocaust sei Erinnern nicht mehr möglich, nur noch Lernen. Nun sei es notwendig, einseitige Geschichtsauffassungen zu korrigieren.

|| "Keine weitere Forschung notwendig" ||

Kai-Ralf Kunath von den Linken warb für eine sofortige Umbenennung der Hindenburgstraße. Weitere Forschung über Hindenburg sei nicht erforderlich, da zu diesem Thema bereits ausreichend Fakten vorlägen.

Der Antrag der Linken wurde nicht angenommen, der Antrag der Mehrheitsgruppe kam bei Stimmenthaltung der FDP und der Links-Fraktion durch.

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