header

Hinrich Wilhelm Kopf bleibt ein Problem

Kommissionsbericht zur nationalsozialistischen Vergangenheit des früheren SPD-Ministerpräsidenten - Stadt will beraten

Lüneburg, 26.11.2013 - "Die Empfehlungen der Historischen Kommission liegen uns vor, wir stellen sie jetzt den Mitgliedern des Kulturausschusses zur Verfügung und werden im nächsten Jahr darüber sprechen.“ Das sagt Oberbürgermeister Ulrich Mädge zur aktuellen Diskussion um Hinrich Wilhelm Kopf (1893 bis 1961), nach dem Krieg Mitbegründer und erster Ministerpräsident des Landes Niedersachsen. Nachdem eine Doktorarbeit über das Verhalten Kopfs während der Zeit des Nationalsozialismus’ Diskussionen auch um die Benennung von Schulen, Straßen und Plätzen ausgelöst hatte, erging im Sommer auf Landesebene ein Auftrag an die Historische Kommission, Empfehlungen auszuarbeiten.

Hintergrund für die Arbeit der Kommission ist eine Forschungsarbeit der Göttinger Historikerin Teresa Nentwig über Hinrich Wilhelm Kopf, unter anderem auch zu seinen Tätigkeiten zur Zeit des Nationalsozialismus. In der Zusammenfassung ihrer Doktorarbeit heißt es: "Zunächst war Kopf mit seiner eigenen Firma an der Verwaltung und dem Verkauf von Häusern jüdischer Eigentümer beteiligt. Während des Zweiten Weltkrieges war er dann ein effizienter, überaus engagierter Mitarbeiter einer nationalsozialistischen Behörde, der Haupttreuhandstelle Ost (HTO), die die wirtschaftliche 'Germanisierung' Polens verfolgte. Zusätzlich arbeitete Kopf für die Grundstücksgesellschaft der HTO, die GHTO. Bis Ende 1942 löste er sich zwar aus den vertraglichen Bindungen zur HTO und zur GHTO, wohl aufgrund finanzieller Differenzen. Doch noch im Mai 1944 fungierte Kopf als 'kommissarischer Verwalter des jüdischen Gemeindevermögens' in einem kleinen oberschlesischen Dorf. Diese Tätigkeiten werfen einen Schatten auf seine Biografie. Zwar wurde Kopf später von Juden und von durch die Nationalsozialisten verfolgten Geistlichen entlastet - sie betonten, wie sehr sich Kopf für sie eingesetzt habe und dabei auch persönliche Risiken eingegangen sei. Solche und ähnliche Bezeugungen wirken glaubwürdig und damit entlastend; überprüfen lassen sie sich heute jedoch nicht mehr. Nach dem Zweiten Weltkrieg sollte Kopf die Tätigkeiten, die er zwischen 1933 und 1945 ausgeübt hatte, kurz und bündig mit vier Worten beschreiben: 'selbständiger Kaufmann und Landwirt'.“

Auch in Lüneburg ist im Stadtteil Kaltenmoor eine Straße mit annähernd 1000 Einwohnern nach Kopf benannt. "Meine Intention wäre, dem Vorschlag der Kommission zu folgen“, so Mädge. In den Empfehlungen heißt es zu möglichen Konsequenzen im Fall Kopf: "Mit seinem Andenken auf eine differenzierte Weise umzugehen, kann bedeuten, (...) die Benennungen von Straßen, Plätzen und öffentlichen Institutionen mit seinem Namen beizubehalten und durch eine Form kritischer Auseinandersetzung mit seinem Leben und Wirken sich dem Problem zu stellen, anstatt es durch die Tilgung des Namens aus dem öffentlichen Bewusstsein herauszurücken.“

Mädge skizziert: "Wir werden sicherlich weiter beobachten, wie andere damit umgehen, wie gerade auch der Landtag und die Stadt Hannover damit umgehen, und dann für Lüneburg diskutieren. Das werden wir im Kulturausschuss tun, und wir werden die Anwohner einladen, mit uns über das Thema zu sprechen.“

Im Papier der Historischen Kommission heißt es: "Die vorliegenden Empfehlungen setzen es sich zum Ziel ... den politisch Entscheidenden Leitlinien für ihr Handeln zu geben.“ Und weiter: "Kopfs unstrittige Lebensleistung als zweimaliger Ministerpräsident, mehrfacher Landesminister und parteiübergreifend anerkannter Landes- wie Bundespolitiker steht seinen ebenso unstrittigen politisch-moralischen Verfehlungen während der Zeit des Nationalsozialismus markant gegenüber."