header

Es war eine Beschlagnahme

Gericht erläutert Entscheidung zur Abriss-Stopp-Verfügung in Wilschenbruch

Das Gebäude des ehemaligen Kinder- und Jugendheims in Wilschenbruch ist zum Zankapfel zwischen Stadt und Eigentümer geworden. Foto: LGheuteLüneburg, 13.10.2015 - Mit ihrer Verfügung, das ehemalige Kinder- und Jugendheim in Wilschenbruch dürfe von dessen Eigentümer nicht abgerissen werden, ist die Stadt gescheitert. Wie berichtet, hatte das Verwaltungsgericht in Lüneburg einer Eilklage des Eigentümers gegen diese Verfügung entsprochen. Jetzt hat das Gericht erläutert, warum es sich gegen die Verfügung ausgesprochen hat. Interessant dabei: Das Gericht spricht von einer Beschlagnahme des Grundstücks durch die Stadt.

Die 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Lüneburg hat mit Beschluss vom 9. Oktober (Az.: 5 B 98/15) dem Eilantrag des Eigentümers des Grundstücks im Lüneburger Stadtteil Wilschenbruch entsprochen. Dazu heißt es in einer Mitteilung des Gerichts:

"Auf dem Grundstück befindet sich ein bereits entkerntes Gebäude, in dem früher ein Kinder- und Jugendheim untergebracht war. Auf dem Grundstück soll laut Investor ein neues Wohngebiet entstehen. Die Stadt Lüneburg hat am 01.10.2015 die Beschlagnahme des Grundstücks - befristet auf 6 Monate - verfügt und angeordnet, dass der Eigentümer das Grundstück bis zum 12.10.2015 zu räumen habe. Gleichzeitig wurde die Einweisung von 50 Flüchtlingen in das Gebäude verfügt und eine Entschädigung festgesetzt."

 Gericht: Auch kostenintensive Unterbringung ausschöpfen

Das Gericht begründet seine Entscheidung damit, dass die Voraussetzungen einer Beschlagnahme nach Polizeirecht seien nicht gegeben seien. Zwar stelle drohende Obdachlosigkeit eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar, der Eigentümer als nichtverantwortlicher Dritter könne aber nur unter den engen Voraussetzungen des sogenannten polizeilichen Notstands und als "letztes Mittel" in Anspruch genommen werden.

Die Beschlagnahme, so das Gericht, stelle zudem einen erheblichen Eingriff in das Grundrecht auf Eigentum gemäß Art. 14 Absatz 1 des Grundgesetzes dar. Eine Beschlagnahme setze voraus, dass die Stadt die drohende Obdachlosigkeit von Flüchtlingen nicht rechtzeitig selbst oder durch Beauftragte abwehren könne. Vor der Inanspruchnahme des Eigentums wie in diesem Fall hätte die Stadt zunächst aber alle eigenen Unterbringungsmöglichkeiten ausschöpfen und gegebenenfalls Räumlichkeiten – darunter auch Beherbergungsbetriebe – anmieten müssen, "auch wenn letzteres kostenintensiv sein möge", wie das Gericht ausführt.

Soziale Fürsorge primär Aufgabe der Allgemeinheit

Der Kammer sei auch bewusst, dass die Unterbringung der derzeit hohen Zahl von Flüchtlingen eine große Herausforderung an alle Kommunen darstelle und die Bemühungen der Stadt Lüneburg mit dem von ihr erarbeiteten Konzept der dezentralen Unterbringung von Flüchtlingen einen wichtigen Aspekt für eine dauerhafte und zufriedenstellende Versorgung der Flüchtlinge darstelle.

Und weiter heißt es: "Dabei sei auch nicht zu beanstanden, dass eine Unterbringung in Turnhallen und Kleinstunterkünften möglichst vermieden werden solle." Demgegenüber hatte Lüneburgs Oberbürgermeister Ulrich Mädge kurz nach Bekanntwerden des Urteils den "Vorschlag" des Gerichts zur Nutzung von Turnhallen kritisiert. Wörtlich sagte er: "Das Verwaltungsgericht hat offenbar noch wenig Vorstellung von den kommunalen Realitäten in diesen Tagen" (LGheute berichtete).

Das Gericht aber führt aus, dass die Gewährung sozialer Fürsorge primär der Allgemeinheit – und damit der Stadt Lüneburg – obliege und nur als letztes Mittel auf eine Privatperson abgewälzt werden dürfe.

 Wirtschaftliche Gesichtspunkte nachrangig

Entscheidend aber ist wohl, dass die Stadt Lüneburg offenbar nicht hinreichend dargelegt hat, dass vor dem von ihr gewählten Schritt der Beschlagnahme alle anderen Möglichkeiten der Unterbringung ausgeschöpft worden sind. Die Stadt, so das Gericht weiter, hätte insbesondere prüfen müssen, ob Unterbringungsmöglichkeiten in der Lüneburger Jugendherberge zur Verfügung stehen. Diese oder Ferienwohnungen und Hotelzimmer hätte sie anmieten müssen. Dabei dürften auch wirtschaftliche Gesichtspunkte keine wesentliche Rolle spielen.

Wie berichtet, hat die Stadt angekündigt, gegen die Entscheidung Berufung beim Oberverwaltungsgericht einzulegen.