Das nächste Grauen

Warum die Stadt schnellstmöglich einen fähigen Architekten braucht

Bestechende Einfallslosigkeit kennzeichnet den Entwurf für den geplanten Anbau des Johanneums Lüneburg. Er fügt sich damit nahtlos in den nicht minder missratenen Bau aus den Siebziger Jahren an. Grafik: Architekt/Stadt LüneburgLüneburg, 05.07.2016 - Eine architektonische Glanzleistung war das neue Schulgebäude für das traditionsreiche Lüneburger Johanneum von Anfang an nicht, kein Wunder, entsprang es doch dem Geist der "form-follows-function"-Ideologie der Siebziger Jahre. Dass deren Protagonisten in einem Gymnasium nichts anderes zu erkennen vermochten als in jedem anderen x-beliebigen Zweckbau, offenbart das Gebäude noch heute: es könnte genauso gut der Sitz für das heute nicht mehr benötigte Kreiswehrersatzamt sein. Diesem Unvermögen wird nun auch der neue Bau gerecht, den die Stadt jetzt als Anbau plant. Dass die Schule damit auch den Sprung zur Ganztagsschule schaffen soll, ist ein anderes Thema. 

Verantwortlich für den architektonischen Niedergang der Stadt sind wie immer die, die es hinterher nicht gewesen sein wollen: Die Mitglieder des Bauausschusses der Stadt Lüneburg, in denen die Ratsmitglieder entscheiden, was und was nicht gebaut werden soll. In ihrer Sitzung vom 23. Juni haben sie an die Sitzung vom 13. Juni angeknüpft und weitere Bauaufträge im Gesamtwert von rund 2,7 Millionen Euro an Schulen vergeben. Das Johanneum ist eines der Opfer.

Und das wurde beschlossen:

Das Johanneum wird Ganztagesschule und erhält einen Neubau. Hier vergab der der Bauausschuss Aufträge in Höhe von insgesamt gut 2,3 Millionen Euro. Den Auftrag für den Rohbau erhält für gut 1,6 Millionen Euro die Firma Tillmann aus Bleckede. Fensterarbeiten übernimmt für rund 400.000 Euro das Unternehmen Busse aus Munster in der erweiterten Region. Die Dachabdichtungs- und Dachbegrünungsarbeiten vergab der Ausschuss für gut 330.000 Euro an Otto Neben aus Salzhausen im benachbarten Landkreis Harburg.

Die Haustechnik in der Sporthalle des Gymnasiums Herderschule wird saniert. Der Bauausschuss vergab Aufträge in Höhe von gut 235.000 Euro an die Firma Guhl aus Wittenberge aus Brandenburg für Heizungsinstallationsarbeiten in Höhe von rund 145.000 Euro sowie für Arbeiten im Gewerk Mess-, Steuer- und Regeltechnik für gut 90.000 Euro an die Firma Husslein & Krapf aus dem bayerischen Theres.

Beim Ausbau der Grundschule Hasenburger Berg zur Ganztagsschule stehen Erweiterung und Mensabau an. Der Bauausschuss vergab den Auftrag für Arbeiten im Gewerk Mess-, Steuer- und Regeltechnik für 175.000 Euro ebenfalls an die Firma Husslein & Krapf aus Theres.

 Versagen des Bauausschusses

An Scheußlichkeit kaum zu überbieten: Das heutige Johanneum. Dass hinter solchen Mauern überhaupt noch ein kreativer Geist entstehen kann, grenzt schon bald an ein Wunder. Foto: LGheuteWer sich fragt, warum Ratsmitglieder für ihre Stadt denn nicht Besseres fordern oder beschließen, sollte einmal einen der öffentlich tagenden Bauausschüsse besuchen. Dort wird er oder sie sehr schnell feststellen, dass die meisten der dort hineingewählten Entscheidungsträger in der Regel weder Fragen stellen noch wissen, wonach sie eigentlich fragen sollten. Gewohnheitsgemäß nicken sie die Beschlussvorlage ab, die ihnen mit der Vorlage der Stadt präsentiert wird. Wie diese entstanden ist und nach welchen Kriterien die beauftragten Architekten ausgewählt wurden, interessiert meist niemanden.

 Fähiger Stadtarchitekt gesucht

Doch das war nicht immer so. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts schaffte Lüneburg es, sich mit Franz Krüger einen Architekten in die Stadt zu holen, der sich nicht nur ausführlich mit der Stadt selbst beschäftigte und identifizierte, sondern auch Bauwerke hinterließ, die, sofern noch vorhanden und nicht von ignoranten Bauausschussmitgliedern zum Abriss freigegeben, heute zu den Wahrzeichen der Stadt zählen wie

Stattdessen werden heute Architekten beauftragt, deren Handschrift ebenso austauschbar ist wie das Economy-Besteck auf Langstreckenflügen der Lufthansa. Warum noch nicht einmal im Bauausschuss darüber diskutiert wird, welches "Gesicht" das Lüneburg des 21. Jahrhunderts bekommen soll, ist das eigentliche Problem dieses Ausschusses, der sich häufig sogar darin gefällt, etwas "auf den Weg" gebracht zu haben. Danach gefragt, nach welchen Kriterien denn entschieden wurde, erhält man meist die gleiche Antwort wie bei Verständnisfragen zu den jährlichen Haushaltsentwürfen der Stadt. 

So schön kann Lüneburg aussehen, wenn die richtigen Entscheidungen getroffen werden. Foto: LGheuteEs wäre schön, wenn die Stadt es vielleicht doch einmal schaffen würde, sich über ihr künftiges Antlitz ernsthaft Gedanken zu machen. Das hilflose Abnicken schlechter Vorlagen, die mit stets gleichlautenden Standardformulierungen präsentiert werden, wird dieser Stadt nicht gerecht. Ein Trost bleibt aber: Die Null-Acht-Fuffzehn-Architektur dieser Tage wird schon in wenigen Jahren der Abrissbirne zum Opfer fallen. Zumindest darin ist Lüneburg ja geübt.

Eine nahezu komplette Auflistung der Bauwerke von Franz Krüger sind in dieser Zusammenstellung zu finden, die der Arbeitskreis Lüneburger Altstadt in mühevoller Arbeit zusammengetragen hat. Es lohnt, mit dieser Liste in der Hand einen Stadtbummel durch Lüneburg zu machen. Man wird diese Stadt anschließend mit ganz anderen Augen sehen.