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Freiheit aushalten

04.03.2013 - Dr. Gerhard Scharf wagte sich im Rat weit vor mit seiner Bemerkung, dass die Entfernung von Denkmalen und die Umbenennung von Straßen in letzter Konsequenz wieder beim "Bücherverbrennen" enden könne. Der CDU-Poltiker wird sich der Wahl seiner Worte bewusst gewesen sein, denn nicht nur als Historiker weiß Scharf um die Bedeutung dieses Begriffs. Das Echo darauf in weiten Teilen des Rats war absehbar - und zeigte damit auch, dass Scharf mit seinen Befürchtungen vielleicht gar nicht so sehr daneben gegriffen hat.

Auch wenn viele Ratsmitglieder Scharfs Formulierung als Provokation empfunden haben mögen - Scharf und mit ihm Birte Schellmann von der FDP haben in der Diskussion um die Umbenennung der Hindenburgstraße überraschend deutlich gemacht, was passieren kann, wenn - aus welchen Überzeugungen auch immer - in Deutschland wieder ideologisch begründete Denk- und Sprechverbote ausgesprochen werden.

Denn im Kern geht es schon gar nicht mehr nur um die Frage, ob die Hindenburgstraße weiterhin Hindenburgstraße heißen darf. Im Kern, und das machten Scharf und Schellmann deutlich, geht es um die Frage, wieviel Freiheit und Selbstbestimmtheit in dieser Stadt - und nicht nur hier - noch gewünscht und zugelassen sind. Wenn der "moralgesättigte Konformitätsdruck", wie Schellmann es nannte, so groß wird, dass jeder, der sich dem entzieht, gebrandmarkt wird, dann ist auch der Schritt zu angepasstem Duckmäusertum, Blockwartmentalität und Bücherverbrennungen nicht mehr weit. 

Lüneburg will da nicht wieder hin. Und damit dies nicht passiert, sind kritische und laute Stimmen auch zu diesem Thema wichtig. Friedrich von Mansberg von der SPD hat einen Weg aufgezeigt, wie eine Diskussion über Straßennamen in Lüneburg geführt werden kann - in einem offenen Dialog, der die Lüneburger ebenso einbindet wie die Erkenntnisse nicht nur einseitig ausgewählter Historiker. Und der ergebnisoffen geführt werden muss.

Wenn es gelingt, dass dabei auch andere Auffassungen als die von der Mehrheitsgruppe ohne Brandmarkierungen zugelassen werden, kann ein Ergebnis herauskommen, das nicht nur von allen Lüneburgern mitgetragen wird. Es kann auch ein Ergebnis herauskommen, das wieder mehr Freiheit zulässt in Köpfen und Diskussionen. Geschichte aufarbeiten mache Mühe, sagte Scharf. Freiheit aushalten manchmal auch.

Ein Kommentar von Ulf Stüwe
zum Beitrag "Welche Art von Stadt wollen wir sein?"