"Wie die Faschisten"

11.06.2017 - Es sind die gewohnten Reflexe, die in diesem Land immer noch ihr Unwesen treiben: Wer anderer Meinung ist, wird diffamiert. Mehr als 70 Jahre nach überwunden geglaubter Blockwart-Mentalität, die nicht nur mit zu Angst, Terror und Tod für Millionen Juden, sondern auch zum Verlust bürgerlicher Grundrechte vieler Hunderttausend Andersdenkender führte, greift der tiefsitzende Drang nach gesellschaftlicher Gleichförmigkeit wieder um sich. Wer auffällig wird, weil er sich nicht dem Absolutheitsanspruch kleingeistigen Mainstream-Denkens anschließt, wird von der Gemeinschaft ausgeschlossen und muss – wie ein von der Gewerkschaft verdi herausgegebener Flyer nahelegt – mit ernsten Konsequenzen am Arbeitsplatz rechnen. Und wehe dem, der es wagt, darüber zu berichten. Der macht sich gleich mit verdächtig.

"Eine Partei, die in elf Landtage eingezogen ist, zum Teil mit zweistelligen Ergebnissen, hält in einer deutschen Großstadt einen Bundesparteitag ab. Schon vor dem Termin wird das Hotel, in dem der Parteitag stattinden soll, bedroht, um eine Stornierung der Buchung zu erreichen. Die Mitarbeiter erhalten Todesnachrichten; der Direktor verlässt das Hotel nicht mehr, weil die Polizei ihm sagt, dass sie andernfalls nicht für seine Sicherheit garantieren könne." So beschreibt Jan Fleischhauer die Situation um den Parteitag der AfD im April in Köln (vgl. hier). Dass Fleischhauer Kolumnist des Magazins "Der Spiegel" ist und nicht, wie vielleicht der eine oder die andere es lieber gesehen hätte, einem dem rechten Rand des politischen Spektrums nahestenden Blatt zuzuordnen ist, sei nur am Rande erwähnt. Doch die Beobachtung zeigt, dass in der Gesellschaft eines wieder Fuß fasst: Wer sich sicher wähnt, auf der "richtigen" Seite der Gesellschaft zu stehen – damals wurde sie noch "gesunde Volksmeinung" genannt –, meint, selbst gedankenlos alles über Bord werfen zu dürfen, wofür er oder sie vorgibt, einzutreten: Toleranz.

"Wenn sich die Antifa anmeldet, um ihr Verständnis von Toleranz zu demonstrieren, gilt es schon als Erfolg, wenn anschließend nicht die halbe Stadt brennt", heißt es weiter in dem Text von Jan Fleischhauer. Ähnlich bedrückend auch der Bericht von Verena Hansel im "Tagesspiegel". In ihrem Versuch, dem Hass auf rechte Positionen auf den Grund zu gehen, lässt sie Dritte zu Wort kommen und zitiert den Extremismusforscher Günter Hole. Der habe festgestellt, dass es Menschen schwerfalle, die richtige Erwiderung auf extreme Positionen zu finden. Ihm zufolge drohe auf der Gegenseite der "Sog der idealistischen Verabsolutierung". Und der Psychoanalytiker Thomas Auchter, auf den sie sich ebenfalls bezieht, warne bei aller Notwendigkeit von Protesten gegen Fremdenfeindlichkeit vor Dualismus. Zitat Auchter: "Wer primitive Parolen wie 'Nazis raus' benutzt, stellt sich auf dieselbe unreflektierte Stufe wie jene, die man zu bekämpfen vorgibt." 

Wohin dies führen kann, wird in einer Feststellung des Chefredakteurs des im Berliner Stadtteil Neukölln angesiedelten Lokalblatts "Kiez und Kneipe" deutlich. Dessen Mitarbeiter, berichtet Verena Hansel, seien bedroht worden, weil sie den AfD-Politiker Andreas Wild zu einer öffentlichen Diskussion eingeladen hatten. Zitat des Chefredakteurs: "Jetzt benehmen sich die Antifaschisten wie Faschisten."

Vermutlich sind es diese populistischen Strömungen, die kürzlich die Gewerkschaft verdi veranlasste, ein – inzwischen von der Internetseite wieder entferntes – Flugblatt herauszugeben, in dem Betriebsangehörige aufgefordert werden, Kollegen zu bespitzeln und zu denunzieren. Dass auch der Herausgeber von LGheute von diesen Personengruppen attackiert wird, weil er eine diesbezügliche Anfrage der AfD-Kreistagsfraktion im Lüneburger Landkreis zu diesem Thema veröffentlicht hat, überrascht nicht. Die Erklärung dazu liefert Verena Hansel mit Verweis auf den Psychoanalytiker Martin Altmeyer. Dieser habe darauf aufmerksam gemacht, "dass es in Deutschland einerseits einen historisch bedingten und durchaus berechtigten Widerwillen gegenüber rechten Strömungen gebe, andererseits aber ein psychologisches Phänomen existiere, das er als 'moralischen Narzissmus' bezeichnet", schreibt Hansel. Und sie zitiert Altmeyer: "Identitäre Bewegungen finden sich auch auf linker Seite, und für ihr Selbstwertgefühl ist es wichtig, sich als Widerstandskämpfer gegen rechts zu inszenieren."

Klar ist: Aufwiegler wie Björn Höcke dürfen nicht die Meinungshoheit in diesem Land bekommen. Gleiches gilt aber auch für dessen Gegenspieler auf der anderen Seite. Doch statt es sich in der kuscheligen Mainstream-Ecke gemütlich zu machen, schadet es nicht, sich an Größen der deutschen Aufklärung zu halten: "Habe den Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen."       

Das verdi-Flugblatt kann hier eingesehen werden.

Ein Kommentar von Ulf Stüwe