Die Kirche wird muslimischer

Landessuperintendent Rathing beglückwünscht Eröffnung der ersten christlich-muslimischen Kita in Deutschland

Die evangelische Kirche öffnet sich mit einem gemeinsamen Kita-Projekt dem Islam.Lüneburg/Gifhorn, 08.08.2018 - Anlässlich der Eröffnung der ersten christlich-muslimischen Kita in Deutschland am 26. Juli in Gifhorn hat Landessuperintendent Dieter Rathing Glückwünsche der Landeskirche überbracht. Zugleich wies er die "rechtspopulistische Kritik an der 'Zwei-Religionen-Kita'" zurück und lobte das von "religiöser Sensibilität und kultureller Toleranz" geprägte pädagogische Konzept. Die Kita mit 15 Plätzen wird von der muslimischen Ditib-Moschee in Gifhorn, der katholischen St. Altfrid-Gemeinde und der evangelischen Dachstiftung Diakonie gemeinsam getragen. 

"Ich bin sehr dankbar, dass die Kindertagesstätte 'Abrahams Kinder' hier in Gifhorn das Licht der Welt erblickt: Heute mit der Eröffnung, im August dann mit den leibhaftigen Kindern aus dem lebendigen Stammbaum Abrahams", sagte der evangelische Regionalbischof für den Sprengel Lüneburg. Und weiter: "Es hätte uns allen gutgetan – so wie wir als Christen, als Muslime, als Menschen ohne Konfession in unserem Land miteinander leben – mit mehr Kenntnis und mit mehr Verständnis für die Inhalte und die Ausdrucksformen der verschiedenen Religionen groß zu werden", sagte der Theologe. "Manch beschämende Unkenntnis, manch dummes Vorurteil wäre wohl nicht in den Köpfen."

Auf die "rechtspopulistische Kritik" selbst ging Rathing nicht ein, auch nicht auf die wegen ihrer Nähe zum türkischen Staat in die Kritik geratene Ditib-Gemeinde. Vielmehr beschwor er, mehr "Gottvertrauen" bei der Umsetzung von Projekten wie diesem an den Tag zu legen.  

Das Grußwort von Landessuperintendent Rathing im Wortlaut:

  "Wenn wir als Christen auf den ersten Seiten der Bibel von Abraham lesen, dann wird dort erzählt: Es hat sehr lange gedauert bis dieser Abraham Vater geworden ist. Er und seine Frau Sara blieben viele Jahre kinderlos. Um dann am Ende doch noch über seine Söhne Ismael und Isaak sowie seinen Enkel Jakob zum 'Vater vieler Völker' zu werden, war zweierlei nötig:
  Abraham musste menschliche Umwege gehen: Seinen Sohn Ismael bekam er – mit Einverständnis seiner Frau – von Hagar, seiner Sklavin. Und Abraham musste sich üben in Gottvertrauen: Er musste darauf vertrauen, dass Gott sein Versprechen wahrmachen würde, seiner schon betagten Ehefrau Sara schließlich doch noch ein Kind, Isaak, zu schenken. So konnte Abraham der werden, der er heute für Juden, Muslime und Christen ist: Gemeinsamer Stammvater unserer drei Religionen.
  Mit dieser Abrahamgeschichte im Hintergrund können wir uns heute fragen, warum es eigentlich so lange gedauert hat, bis die erste muslimisch-christliche Kindertagesstätte mit 'Abrahams Kindern' bei uns in Deutschland das Licht der Welt erblickt hat. Scheu vor Umwegen? Zu wenig Gottvertrauen? Jedem von uns fallen wohl Zeitgenossen ein, denen es gut getan hätte, wenn sie als Kinder in der Begegnung und in der Gemeinschaft verschiedenen Glaubens großgeworden wären. Die rechtspopulistischen Kritiker dieser 'Zwei-Religionen-Kita' hier in Gifhorn zuerst! Es hätte ihnen gutgetan, unter dem pädagogischen Konzept einer religiösen Sensibilität und einer kulturellen Toleranz in unsere Gesellschaft hineinzuwachsen. Manches diffamierende Wort wäre wohl nicht gefallen.
  Aber ich will den Kreis auch gern weiter ziehen und sagen: Es hätte uns allen gutgetan, so wie wir hier sind und so wie wir als Christen, als Muslime, als Menschen ohne Konfession in unserem Land miteinander leben, es hätte uns allen gutgetan, mit mehr Kenntnis und mit mehr Verständnis für die Inhalte und die Ausdrucksformen der verschiedenen Religionen großzuwerden. Manch beschämende Unkenntnis, manch dummes Vorurteil wäre wohl nicht in den Köpfen. Von bösen Taten, die aus Unkenntnis und Vorurteilen erwachsen, will ich gar nicht erst reden.
  Für die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers bin ich sehr dankbar, dass die Kindertagesstätte 'Abrahams Kinder' hier in Gifhorn das Licht der Welt erblickt. Heute mit der Eröffnung, im August dann mit den leibhaftigen Kindern aus dem lebendigen Stammbaum Abrahams. Ich danke Ihnen aus der Moscheegemeinde für die erste Idee, die zu dieser gemeinsamen Verantwortung geführt hat. Ich danke der St. Altfrid-Gemeinde, Ihnen Herr Dechant Hoffmann und besonders Ihnen, Herr Pastoralreferent Wrasmann, von dem ich weiß, wie sehr lange Sie diesen Gedanken einer interreligiösen Kita schon verfolgen. Und ich danke der Dachstiftung Diakonie, die mit der institutionellen Trägerschaft hier ein zukunftsweisendes Zeichen setzt. Ich habe von Umwegen gesprochen … Über den kleinen Umweg mit der Diakonie gehen wir als Kirche diesen gemeinsamen Weg der Religionen gern mit. Es ist ja nicht das erste Mal, dass die am praktischen Handeln orientierte Diakonie beherzte Schritte nach vorn macht, denen die verfasste Kirche dann auch mit eigenen Beiträgen folgt.
  Ihnen zusammen als Verantwortliche aus verschiedenen Religionen und Konfessionen danke ich schließlich für ihr Gottvertrauen. Danke, dass sie gemeinsam darauf vertrauen, dass Gott sein altes biblisches Versprechen an Abraham auch heute an Abrahams Kindern wahrmachen wird: 'Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein.'
  Für eine Zukunft, die nur noch den einen Gott kennt, der das Wohl aller Menschen will,
  für eine Zukunft, die uns endlich zum Frieden unter den Religionen finden lässt,
  für eine Zukunft, in der wir nicht mehr nach verschiedener Herkunft denken, sondern nur noch in gemeinsamer Verantwortung,
  für diese Zukunft seien gesegnet alle, die in diesem Haus im Sonnenweg ein- und ausgehen, als Kinder und als Familien, als Erzieherinnen und Erzieher, als Christen und Muslime zusammen mit allen anderen, die guten Willens für die Menschen sind. Ihr sollt ein Segen sein!"

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