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War das Turbo-Abi ein Schnellschuss?

100 Wörter zum Abitur nach 12 Jahren - Landtagskandidaten beziehen Position

Lüneburg, 17.01.2013 - 2011 wurde in Niedersachsen die Schulzeit bis zum Abitur von 13 auf 12 Jahre verkürzt. Deutschland hat sich damit den Schulzeiten in anderen Ländern angepasst. Ob die Vorteile, die sich Bildungspolitiker davon versprechen, auch tatsächlich eintreten werden, bleibt abzuwarten. Unterdessen klagen Schüler, Lehrer und Eltern über zu hohe Belastungen.
Mit einer Frage zum "Turbo-Abi" hat LGheute die Kandidaten für die Landtagswahl noch einmal um ihre Positionen zu dem Thema gebeten. Wie immer durften ihre Antworten nicht mehr als 100 Wörter umfassen.


LGheute
: Seit Einführung des achtjährigen Gymnasiums G8 - besser bekannt als "Turbo-Abi" - klagen Schüler, Lehrer und Eltern gleichermaßen über zu hohen Schulstress, zu viele Hausaufgaben und zu wenig Freizeit. Populär ist diese Neuerung, die 2011 in Niedersachsen eingeführt wurde, nicht. Viele fragen sich, ob der Zweck der Reform - die Verkürzung der Schulzeit - die deutlichen Nachteile wirklich rechtfertigt und ob nicht am Ende eine insgesamt schlechtere Ausbildung das Ergebnis sein wird. Ist das Turbo-Abi wirklich sinnvoll?

Wie stehen Sie zu dieser Frage und wie wollen Sie als Mitglied des Niedersächsischen Landtags oder der Landesregierung das Thema weiter verfolgen?

Dr. Bernd Althusmann, CDU: "Wir werden die Rahmenbedingungen des verkürzten Abiturs verbessern, Lehrpläne weiter entfrachten und die Ganztagsschule auf alle Gymnasien ausweiten, damit das Abitur nach 12 Jahren besser leistbar ist. Die Schüler gewinnen durch G8 ein Jahr für Ausbildung, Studium oder ein soziales Jahr. Es berichten Schüler ebenso, dass sie sich nicht überfordert fühlen.
Und für diejenigen, die es doch so erleben, gibt es das G9: Die IGS bietet noch bis 2017 das Abitur nach 13 Jahren an. Außerdem kann derjenige, der im Anschluss an den Besuch der Ober- oder Realschule Abitur machen möchte, am beruflichen Gymnasium die allgemeine Hochschulreife nach 13 Jahren erwerben."

Andrea Schröder-Ehlers, SPD: "Die SPD will in Niedersachsen keinen neuen 'Schulstrukturstreit' entfachen. Deshalb wird auch das Gymnasium erhalten bleiben. Die Hürden für Gründungen von Gesamtschulen bauen wir ab, Abi nach 13 Jahren wird an Gesamtschulen wieder möglich sein. Bei Elternwunsch gründen wir weitere Integrierte Gesamtschulen in Lüneburg. Die Lerninhalte für Gymnasien mit Abi nach 12 Jahren werden überprüft und verschlankt, um den derzeitigen Schulstress zu mindern.
Von besonderer Bedeutung für uns ist die qualitative Ausstattung unserer Ganztagsschulen - diese sollen echte, mit Lehrerstunden ausgestattete Ganztagsschulen werden. Gute Schule für alle Kinder ist unser Ziel. Zudem werden wir die Studiengebühren abschaffen und die Hochschulen öffnen."

Dr. Edzard A. Schmidt-Jortzig, FDP: "Ziel des G8 ist es, dass unsere Schüler früher mit Ausbildung oder Studium beginnen können, um so besser im internationalen Wettbewerb mithalten zu können. Wir müssen heute die Chancen für die kommende Generation vorbereiten, damit sie in unserer globalisierten Wirtschaft besser bestehen kann und damit der Lebensstandard in unserem Land erhalten bleibt. Die systembedingten Anlaufschwierigkeiten sind nun weitgehend überwunden. Jetzt zum alten System zurückzukehren, hieße die Belastungen nochmals zu vergrößern. Bei der Entschlackung der Lehrpläne gibt es jedoch noch Nachholbedarf - das trägt auch zur Stressvermeidung bei! Dafür werde ich mich einsetzen."

Miriam Staudte, Bündnis 90/Die Grünen: "Das Turbo-Abi stresst Kinder, Lehrer und Eltern! Für die gleiche Stoffmenge steht nun ein Jahr weniger zur Verfügung, weshalb Nachmittagsunterricht längst normal ist. Die Gymnasien wurden damit faktische Ganztagsschulen - vielfach ausstattungs- und konzeptionslos. Unterricht, Hausaufgaben und Fahrtzeiten lassen kaum persönlichen Spielraum.
Die Folgen haben sich schon 2011 gezeigt: Der erste G8-Jahrgang hat 18 Prozent weniger Schüler bis zum Abitur gebracht als zuvor. Anstatt daraus zu lernen, hat die Landesregierung das Turbo-Abi auch den Gesamtschulen aufgezwungen. Wir wollen den Gesamtschulen und Gymnasien (wie in anderen Bundesländern) die Entscheidung ermöglichen, ob sie das Abitur nach 12 oder 13 Jahren anbieten wollen."

Michèl Pauly, Die Linke: "Das Turbo-Abi ist gescheitert! Wir fordern eine Abkehr von G8 und wollen grundsätzlich zurück zum Abitur nach 13 Schuljahren. Auch soll das gemeinsame Lernen im Vordergrund stehen, weswegen wir für die Stärkung Integrierter Gesamtschulen sind.
Durch das Turbo-Abi sollten Kinder schneller durch das Schulsystem geschleust werden, um der Wirtschaft möglichst jüngere Schul- und Hochschulabsolventen anzubieten. Tatsächlich stehen Schulabgänger heute aber oft vor verschlossenen Türen: die Studienplätze reichen nicht aus. Viele Schulabgänger mit Studienabsicht finden keinen oder nicht den gewünschten Studienplatz und müssen Wartesemester einlegen. Wir fordern, das Studienplatzangebot auszuweiten, statt Schüler schneller und gestresst durch ihre Schulzeit zu jagen."

Daniel Brügge, Piraten-Partei: "Die Piratenpartei und auch ich stehen ganz klar für ein Abitur nach 13 Jahren. Allerdings sehen wir das nicht so statisch wie manch eine andere Partei. Wir wollen, dass die Schülerinnen und Schüler mehr Entscheidungsbefugnisse für ihre Schullaufbahn bekommen.
Deswegen fordern wir, zusätzlich zum G9 das G8 als Wahlmöglichkeit anzubieten, sofern die Nachfrage besteht. Und das aus dem ganz einfachen Grund, dass Lernende genug Zeit zum Lernen in ihrem individuellen Tempo bekommen."


Horst Gilles, Bündnis 21/RRP: "Die - überstürzte - Einführung des Turbo-Abiturs war ein Fehler, denn a) wurden die Schüler, welche sich auf das 13. Jahr eingerichtet hatten, einfach überrumpelt, und b) wurden 2 Jahrgänge gleichzeitig ins Berufsleben oder Studium entlassen. Darauf waren weder Betriebe noch Universitäten eingerichtet.
Grundsätzlich halte ich es für richtig, das Abitur nach 12 oder 13 Jahren abzulegen. Denn die Menschen sind verschieden (keine sozialistische Gleichmacherei!) und einige können nach 12, andere nach 13 Jahren sich der Prüfung stellen. Deshalb sollten die Schulen beide Möglichkeiten anbieten, damit die Schüler nach ihrer Begabung oder Belastung, die sie auf sich nehmen wollen, auswählen können."

 

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