Aufgelesen: Orgien und Willkür

Foto: LGheute20.04.2020 - Mögen Sie Orgien? Kontrollverlust? Angela Merkel offenbar nicht. Deshalb sprach die Bundeskanzlerin – wobei sie das ja eigentlich nicht mehr ist, seit das Parlament mit Beginn der Corona-Krise seine Kontrollfunktion in diesem Land aufgegeben hat – auch gezielt von einer "Orgie", um ihren Unmut über nicht enden wollende Öffnungsdiskussionen zur allmählichen Normalisierung unseres Gemeinwesens deutlich zu machen. Als "Öffnungsdiskussionsorgie" disqualifizierte Merkel ab, was vor allem aber ihr Problem ist: Kontrollverlust. Denn die "Kanzlerin der Alternativlosigkeit" sieht sich offenbar in der Klemme, seit vieles an ihr verständlicherweise vorbeidiskutiert wird.

Sie habe sich "verärgert gezeigt", schreibt FAZ-online heute über die Kanzlerin, "weil ihrer Meinung nach zu viel über die Lockerung der Einschränkungen zum Kampf gegen die Corona-Pandemie diskutiert werde". Und weiter: "Wichtiger sei es, dass die nach wie vor bestehenden Maßnahmen eingehalten würden, sagte Merkel." Auch setze die Kanzlerin weiter darauf, "dass sich alle Menschen an die Regeln hielten". 

Das würden die meisten Menschen vermutlich auch tun, wenn es denn nachvollziehbare Kriterien für die "Regeln", also Verbote, gäbe. Doch davon hört man weder von der Kanzlerin etwas noch wird seitens der Medien danach gefragt. So bleibt daher auch die Aussage der Bundeskanzlerin, "dass die Entwicklung bis zum Ende des Monats wichtig sei, noch wichtiger jedoch der 8. und 9. Mai", unhinterfragt.

Warum der 8. und 9. Mai? Warum nicht der 30. oder 28. April? Was sind die Beurteilungsmaßstäbe? Davon hört man nichts. Stattdessen müssen die Bundesbürger sich mit Basisreproduktionsraten, Durchseuchungsquoten oder sonstigen virologischen Fachtermini auseinandersetzen – und begnügen. Denn anderes bekommen sie nicht. Selbst Werte, die einmal als Maßstab für eine Befristung der Verbote gesetzt wurden und inzwischen sogar unterschritten werden, sind plötzlich nicht mehr relevant. Die Bundesregierung und mit ihr die inzwischen parlamentsunabhängig regierenden Ministerpräsidenten ändern je nach Tagesform die Kriterien oder weigern sich, überhaupt noch welche zu benennen.

Damit entziehen sie sich jedweder Kontrolle. Das ist Willkür.