Steine gegen das Vergessen

In Lüneburg wurden 14 weitere "Stolpersteine" verlegt

Mit den Stolpersteinen wird an Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Foto: Geschichtswerkstatt LüneburgLüneburg, 25.11.2019 - 14 neue "Stolpersteine" zum Gedenken an Opfer des Nationalsozialismus wurden kürzlich in Lüneburg verlegt. Die Lüneburger Geschichtswerkstatt und die "Euthanasie"-Gedenkstätte Lüneburg hatten sie durch den Künstler Gunter Demnig verlegen lassen. Auch Angehörige der Opfer nahmen an der Aktion teil. Die Erinnerungssteine wurden an insgesamt sieben Orten in Lüneburg verlegt. Sieben der 14 Stolpersteine widmen sich Opfern der "Euthanasie". Jeder einzelne Stein steht für ein ganz besonderes Schicksal. 

◼︎ Stolperstein für Jürgen Endewardt

Unter den "Euthanasie"-Opfern ist der nicht einmal zweijährige Jürgen Endewardt. Er lebte mit seiner Familie in der heutigen Georg-Böhm-Straße 4 in Lüneburg. Eine Pflegerin des damaligen Kinderhospitals in der Barckhausenstraße wies ihn in die Anstalt ein. "Seine Mutter sprach am 5. und 6. Dezember 1942 mit dem damaligen Ärztlichen Direktor, gewiss auch über seine desolate Versorgung. Ein Tag später, am 7. Dezember 1942, war Jürgen tot", berichtet Dr. Carola Rudnick, wissenschaftliche und pädagogische Leiterin der "Euthanasie"-Gedenkstätte Lüneburg.

Gemeinsam mit über 50 Pflegeschülern erforschte sie die Lebensgeschichten der "Euthanasie"-Opfer, für die jetzt Stolpersteine verlegt werden. Bei ihren Nachforschungen versuchte Rudnick auch, über einen Presse- und Hörfunk-Aufruf Angehörige der Opfer zu finden. Mit Erfolg, denn an der Stolpersteinverlegung nahmen mehr als 20 Angehörige teil, darunter auch Familienmitglieder von Inge Roxin und Mariechen Petersen, die über die mediale Berichterstattung gefunden werden konnten.

Die Mädchen waren Nachbarinnen in der Rotehahnstraße 4, ihre Familien teilten sich ein Wohnhaus. Noch lebende Geschwister und deren Kinder meldeten sich bei Rudnick und halfen aufzuklären, wie die Mädchen seinerzeit in das "Euthanasie"-Programm gerieten. Mariechens Mutter hatte sich geweigert, an einer Parteiveranstaltung der NSDAP teilzunehmen und wurde zu vier Monaten Haft verurteilt. Da der Vater 1941 gefallen war, kamen die insgesamt acht zum Teil noch sehr kleinen Kinder zur Großmutter und in ein Heim, bis auf Mariechen. Inge Roxins Schwester Käthe erinnert regelmäßige Besuche bei ihrer kleinen Schwester in der "Kinderfachabteilung". Die Nähe der Familie konnte nicht verhindern, dass auch sie nicht zugelassene Medikamente erhielt und gewaltsam starb.

◼︎ Stolpersteine für Heinrich Biester und Dieter Lorenz

Die Stolpersteine für »Euthanasie«-Opfer sind auch Erwachsenen gewidmet, die im Frühjahr 1941 als Patientinnen und Patienten der Lüneburger Psychiatrie in eine sogenannte Tötungsanstalt überführt wurden, darunter der im Mai 1941 in der Gaskammer in Hadamar ermordete Heinrich Biester. Er war der Neffe des damaligen Lüneburger Anstaltsseelsorgers und Pastors von St. Nikolai, Heinrich Mund. In seiner Obhut wähnte die Familie den erkrankten Musiker irrtümlicherweise als sicher. Sein Stein, wie auch der Stolperstein für das Kind Dieter Lorenz, wurden direkt vor der "Euthanasie"-Gedenkstätte Lüneburg verlegt.

Dieter Lorenz kam mit einem Evakuierungstransport aus den Niederlanden nach Lüneburg. Weil er angeblich keine Eltern hatte und zudem ausländischer Herkunft war, zögerte die Stadt Lüneburg die Kostenübernahme hinaus. Auch deswegen wurde er nicht einmal drei Wochen nach seiner Ankunft in der "Kinderfachabteilung" ermordet. Sechs Wochen nach der Ermordung des Zweieinhalbjährigen genehmigte die Stadt die Kostenübernahme. Da war es für Dieter Lorenz schon zu spät.

◼︎ Stolperstein für Bernhard Filusch

Mit einem der Stolpersteine hat es etwas Besonderes auf sich. Dieser Stein kam erst am Ende der Recherchen der Pflegeschülerinnen und -schüler hinzu. Sie stellten fest, dass einer der Stolpersteine, die 2005 vor der damaligen Bildungs- und Gedenkstätte "Opfer der NS-Psychiatrie" verlegt wurden, seinerzeit am falschen Ort verlegt wurde. Bernhard Filusch war als Säugling in die "Kinderfachabteilung" Lüneburg gebracht worden, hatte seine ersten Lebenswochen jedoch Auf dem Meere 29 verbracht. Weil es den Schülern so wichtig ist, dass Bernhard auch dort einen Stolperstein erhält, verlegten sie den Stolperstein eigenständig und finanziert durch eine eigene Spende. Die anderen 13 Stolpersteine kkonnten dank einer Spende von Bürgern aus Stadt und Landkreis Lüneburg verlegt werden.

◼︎ Stolpersteine für Familie Rose

Die weiteren sieben Stolpersteine, die am Freitagvormittag verlegt werden, erinnern unter anderem an das Schicksal der Familie Rose. Die Familie mit Sinti-Abstammung wurde 1941 in einem Baracken-Lager Auf dem Schmaarkamp/Ecke Bardowicker Wasserweg festgesetzt und von dort am 9. März 1943 gemäß dem sogenannten "Auschwitz-Erlass" in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Max Rose starb dort zwei Monate nach seiner Ankunft. Fünf Monate später starb auch seine Schwester Rosa. Weitere vier Monate später starb die Mutter Amalie Rose. 

◼︎ Stolpersteine für Familie Less

Schließlich erhalten auch Mitglieder der Familie Less, die in der Großen Bäckerstraße ihren Wohnsitz und ihr Ladengeschäft hatten, Stolpersteine. Ihnen gelang zwischen 1934 und 1941 nacheinander auf teils riskantem Wege die Flucht in die USA.

Seit Jahren verlegt der Künstler Gunter Demnig bundesweit Stolpersteine wie hier in Lüneburg. Foto: Geschichtswerkstatt LüneburgIm Frühjahr 2020 soll eine neue Broschüre über die Lüneburger Stolpersteine erscheinen, die von der Geschichtswerkstatt und Pflegekräften gemeinsam verfasst wird.