Am Ende nur Applaus

Nach 30 Jahren im Amt verabschiedete der Rat der Stadt gestern seinen Oberbürgermeister

Ein Abschied, der ihm schwer fiel: Ulrich Mädge bei seiner Verabschiedung durch den Rat der Stadt. Foto: LGheuteLüneburg, 14.10.2021 - Der letzte Tagesordnungspunkt "Besondere Ehrungen" war abgearbeitet, als Christel John doch noch einmal zum Mikrofon griff. "Wir sind noch nicht ganz fertig", sagte die Ratsvorsitzende und leitete damit zu dem über, das gestern in der Ratssitzung zwar nicht auf der Tagesordnung, in seiner Bedeutung letztlich aber über allem stand: die Verabschiedung von Oberbürgermeister Ulrich Mädge. Doch nach 30 Jahren im Amt gab es für ihn lediglich Blumen, ein Buch und stehenden Applaus – mehr nicht.

"Wenn Sie für die Stadt Vorteile erwirken konnten, haben Sie alles unternommen, es zu erreichen, egal, wer oder was sich Ihnen in den Weg gestellt hat." Es waren diese Worte der Ratsvorsitzenden, die gleich in mehrfacher Sicht den Kern der 30-jährigen Amtszeit von Ulrich Mädge beschrieben. Denn im Mittelpunkt seines Handelns stand immer die Stadt, nie er selbst.

Mädge war immer zur Stelle, wenn er Vorteile, aber auch Gefahren für die Stadt witterte. Dass Lüneburg den Sprung von einer Garnisons- zu einer Universitätsstadt geschafft hat, war mit sein Verdienst. Auch, dass nach der Wende nicht der Anschluss bei der Neuorientierung von Industrie- und Gewerbebetrieben wegen lockender Ost-Fördermittel verpasst wurde. Dass aber auch er ein feines Gespür für Fördermittel hat, ist Lüneburg gut bekommen.

Mädge war aber immer auch dort, wo er nicht auf Beifall hoffen durfte. Unzählige Abende und Stunden widmete er, um besorgten, manchmal auch aufgebrachten Bürgern die Entscheidungen des Rates und der Verwaltung verständlich zu machen – ob bei der Ausweisung neuer Baugebiete, der Schaffung von Flüchtlings-Unterkünften, beim Abriss der einsturzgefährdeten Häuser an der Frommestraße oder beim letztlich missglückten Versuch, den Flugplatz abzuschaffen.

Dass er dabei bisweilen auch aneckte, war bei seinem Naturell nicht zu vermeiden. Schnell, manchmal zu schnell, stieg bei ihm der Puls, wenn er sich angegriffen fühlte. Bei den Ratssitzungen wurde dies in den letzten Jahren besonders deutlich, auch, weil Parteien stärker wurden, die andere Ziele verfolgten.

Mädge deshalb Gutsherrn-Mentalität vorzuwerfen, wie zuletzt öfter zu hören war, greift zu kurz. Wer an der Spitze steht, muss Entscheidungen treffen, antwortete er, wenn er auf diesen Punkt angesprochen wurde.

Für ihn wurde daraus dennoch ein wunder Punkt. Wer ihn kennt, weiß, dass er damit zu kämpfen hat, wenn seine Entscheidungen abgelehnt werden. Schon deshalb, weil Mädge wie kaum ein anderer stets wohlpräpariert war, wenn es darum ging, Zustimmung bei den Bürgern der Stadt und die notwendigen Mehrheiten im Rat für seine Ziele zu erhalten.

Dafür vertiefte er sich in die Akten. Nicht selten sah man ihn mit Aktentasche und Schirmmütze zu Fuß das Rathaus verlassen, wenn andere schon lange ins Wochenende gegangen waren. Außerhalb Lüneburgs wusste man, was man an ihm hatte: Gleich mehrfach wurde er Präsident des Niedersächsischen Städtetags und saß sogar neben Horst Seehofer als Verhandler der kommunalen Arbeitgeber bei den jüngsten Tarifverhandlungen für den Öffentlichen Dienst.

Um Harmonie und Ausgleich war Mädge, dem gern eine harte Schale zugesprochen wird, dennoch bemüht. Der weiche Kern in ihm suchte stets das Gemeinsame, weniger das Trennende. Wenn er Vertrauen spürte, waren Zwiste auch nach manchmal härterer Auseinandersetzung schnell vergessen. 

Das zeigte sich auch gestern bei der Verleihung des Ehrenrings an ausgewählte Ratsmitglieder und der Verabschiedung langjähriger politischer Weggefährten, egal welcher Couleur. Sein Dank an die Zusammenarbeit mit denen, die gestern den Rat verlassen haben, war ehrlich.

Der nüchterne Abschied, den der Rat der Stadt seinem langjährigen Oberbürgermeister gestern bereitet hat, ist deshalb nicht nachvollziehbar. Zwar hat Mädge die Verleihung des Ehrenrings an ihn abgelehnt, dies aber nur, weil er in dem Ring eine Anerkennung für ehrenamtlichen Einsatz sieht. Ihn aber zum Ehrenbürger der Stadt zu machen, dazu konnte sich der Rat in seiner Gänze dem Vernehmen nach nicht entscheiden. So beließen sie es bei stehendem Applaus.

Nach 30 Jahren Einsatz für Lüneburg hätte Ulrich Mädge einen würdevolleren Abschied verdient.