"Kirchturmpolitik ist kontraproduktiv"

LGheute im Gespräch mit Detlev Schulz-Hendel (Grüne) über Alpha-E und die Zumutbarkeit von mehr Güterverkehr auf der Schiene

Detlev Schulz-Hendel ist verkehrspolitischer Sprecher der Grünen im Landtag von Hannover. Foto: privatLüneburg, 04.01.2021 - Tricksen, tarnen und taktieren – so etwa lässt sich die Kritik zusammenfassen, die der Amelinghausener Detlev Schulz-Hendel dem Bundesverkehrsministerium und der Deutschen Bahn vorhält. Der Landtagsabgeordnete und verkehrspolitische Sprecher der Grünen beklagt, dass nicht schon längst die Weichen für die Umsetzung des Schienenausbauprojekts Alpha-E gestellt sind. Das aber lehnt die Stadt Lüneburg unter anderem wegen der damit prognostizierten Verdoppelung des Güterzugverkehrs durch Lüneburg ab und fordert eine Umfahrung. Aber auch die Bahn selbst hat sich in der Sache noch nicht festgelegt und prüft Alternativen (LGheute berichtete). Im Kern der Auseinandersetzung geht es um die Frage, wem die zusätzlichen Belastungen durch mehr Schienenverkehr zumutbar sind. Im Gespräch mit LGheute erläutert Schulz-Hendel seine Position.


Herr Schulz-Hendel, Sie werfen Bund und Bahn beim geplanten Schienenausbau vor zu taktieren und vermissen eine "notwendige Klarheit" insbesondere auf der Strecke Hamburg-Hannover. Wo genau fehlt sie Ihnen?

Detlev Schulz-Hendel: Seit mehr als zwei Jahren beschäftigt sich die Bahn mit den Varianten und Trassen. Immer wieder kommt es zu Verzögerungen auf dieser Ebene, was den finalen Vorschlag für eine finale Trassenführung zwischen Hamburg und Hannover angeht. Wann werden die weiteren Planungsschritte umgesetzt? Wann ist das Verfahren der Trassen- und Variantenplanung abgeschlossen? Wann ist mit einer Umsetzung des Alpha-E zu rechnen? Wann ziehen die Bahn und Staatssekretär Enak Ferlemann an einem Strang? Während Ferlemann von einer Umfahrung in einem Strang und somit von einer Neubaustrecke spricht, hat die Bahn bisher diese Pläne nicht bestätigt. Durch all diese Unklarheiten ist das Ziel für mehr Güterverkehre auf der Schiene nicht mehr wie geplant bis 2030 zu realisieren. Eine fatale Entwicklung für eine notwendige Verkehrswende. Die notwendige Transparenz im jetzigen Verfahren ist nicht erkennbar.

Die Bahn prüft derzeit auch Varianten zur Umfahrung Lüneburgs. Was halten Sie davon?

Nach allen jetzigen Erkenntnissen bringt eine Umfahrung nur sehr wenig Leistungssteigerung und wird Stand heute die vermeintlichen Probleme entlang der Bestandsstrecke nicht lösen.

Lüneburg ist schon jetzt massiv vom Güterschienenverkehr betroffen, der durch Alpha-E noch zunehmen wird. Was sagen Sie zu den Sorgen der Lüneburger vor mehr Schienen und Schienenverkehr durch ihre Stadt?

Wir nehmen grundsätzlich jede Sorge an der betroffenen Strecke ernst. Aber mehr Schienen durch die Stadt ist ja erstmal für sich betrachtet kein Argument. Mir ist es erstmal wichtig, dass eine Region und das Oberzentrum Lüneburg weiterhin gut an den Fernverkehr angeschlossen bleiben und das Angebot an Verbindungen erhalten bleibt. Ebenso muss für die Pendler ein verlässlicher und qualitativer Nahverkehr gewährleistet sein. Ein erster Schritt bereits vor neuen Gleisen ist es, den Knotenpunkt im Lüneburger Hauptbahnhof zu optimieren, so dass alle Gleise im Bahnhofsbereich in alle Richtungen nutzbar sind. Dieser erste Schritt könnte beispielsweise einer Optimierung des Nahverkehrs dienlich sein. Auch kann bereits heute das dritte Gleis zwischen Lüneburg und Maschen durch zusätzliche Signale und Weichenstellungen optimiert werden und es somit flexibler nutzbar machen.

Welches Gewicht haben Ihrer Meinung nach die Sorgen der Lüneburger gegenüber den Sorgen der Bevölkerung im Landkreis und in der Region, die bei einer Umfahrung Lüneburgs gegebenenfalls vom Schienenverkehr betroffen wäre?

Natürlich ist es meine Aufgabe, alle Sorgen von betroffenen Menschen an möglichen Trassenvarianten ernst zu nehmen. Das ist vorrangige Aufgabe der Politik. Kirchturmpolitik zu betreiben ist für das Ziel, mehr Güterverkehre auf die Schiene zu bringen, kontraproduktiv. Wichtiges Ziel der Politik ist es, unabhängig von einer endgültigen Trassenführung für einen Lärmschutz über dem Mindeststandard zu sorgen. Ich halte nichts davon, die Sorgen der Menschen gegeneinander auszuspielen. An dieser Stelle ist Oberbürgermeister Ulrich Mädge zu kritisieren, der Menschen und Regionen gegeneinander aufwiegelt. So geht man nicht miteinander um. Abschließend lassen sich aber Sorgen und Bedenken nicht beurteilen und einschätzen, da die Bahn bisher jede Konkretisierung von Trassen schuldig bleibt.

Was sagen Sie dazu, dass ein drittes oder viertes Gleis durch Lüneburg wegen des Nadelöhrs bei Winsen/Luhe gar keinen Vorteil bringt, wie die Bahn dargelegt hat?

Die Notwendigkeit eines vierten Gleises durch Lüneburg ist derzeit nicht belegt. Die Frage nach dem Nadelöhr Winsen/Luhe belegt aber auch, dass Teillösungen wie eine gesonderte Umfahrung von Lüneburg keine Lösungen sind. Hier wäre zu prüfen, ob eine Variante 3-plus Verbesserungen bringen kann, also ein viertes Gleis zwischen Lüneburg und Maschen, dort wo es räumlich möglich ist.

Wie viele Menschen wären denn von einem dritten oder vierten Gleis auf der Bestandsstrecke zwischen Hamburg und Hannover betroffen und wie viele bei einer Umfahrung oder gar einer Neubaustrecke parallel zur A7, wie es Mädge vorschwebt?

Hier bedarf es einen konkreten Trassenverlaufs, um das beurteilen zu können.

Sie fordern von der Landesregierung "eine klare offizielle Aufforderung an das Bundesverkehrsministerium, dass die Planungen zügig vorangebracht werden". Wie weit sind Sie mit Ihrer Forderung gekommen?

Verkehrsminister Althusmann hat sich im Rahmen einer dringlichen Anfrage der Grünen-Landtagsfraktion im Landtag klar und deutlich zu einer Umsetzung von Alpha-E bekannt. An dieser klaren Ankündigung und Aussage wird sich der Verkehrsminister messen lassen müssen. Für Anfang 2021 sind weitere Dialogrunden mit der Bahn verabredet. Diese gilt es abzuwarten und dann werden wir Verkehrsminister Althusmann auffordern, entsprechend seiner Aussagen den Bundesverkehrsminister aufzufordern, nun die Trassenprüfungen zügig abzuschließen und für Klarheit im Planungsprozess zu sorgen.