Generelles Gottesdienstverbot nicht zulässig

Bundesverfassungsgericht widerspricht OVG in Lüneburg

In begründeten Einzelfällen können Gottesdienste in Kirchen, Synagogen und Moscheen nun doch wieder durchgeführt werden. Foto: LGheuteKarlsruhe, 01.05.2020 - Gottesdienste müssen im Einzelfall doch möglich sein. Zu diesem Ergebnis kam das Bundesverfassungericht in Karlsruhe in seiner Entscheidung vom 29. April, in dem es das per einstweiliger Anordnung des vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (OVG) in Lüneburg bestätigte Verbot von Gottesdiensten in Kirchen, Moscheen und Synagogen sowie von Zusammenkünften anderer Glaubensgemeinschaften zur gemeinsamen Religionsausübung nach der Corona-Verordnung des Landes Niedersachsen teilweise vorläufig außer Vollzug gesetzt hat.

Der Antragsteller, ein eingetragener muslimischer Glaubensverein mit rund 1300 Mitgliedern, beabsichtigt, insbesondere in den noch ausstehenden Wochen des Fastenmonats Ramadan, das Freitagsgebet in der von ihm genutzten Moschee durchzuführen. Er hatte beim OVG deshalb eine Normenkontrollklage mit dem Ziel eingelegt, das in der niedersächsischen Corona-Verordnung enthaltene Verbot von Gottesdiensten insoweit für ungültig zu erklären, als die für Verkaufsstellen und Ladengeschäfte geltenden Schutzvorkehrungen eingehalten werden.

Den mit der Normenkontrollklage verbundenen Antrag auf einstweilige Außervollzugsetzung des Verbots lehnte das OVG ab (LGheute berichtete). Zur Begründung hieß es: Zwar stelle das ausnahmslose Verbot des gemeinsamen Freitagsgebets im Fastenmonat Ramadan einen überaus schwerwiegenden Eingriff in die grundrechtlich geschützte Glaubensfreiheit dar. Auch komme dem Freitagsgebet insbesondere in dieser Zeit eine zentrale liturgische Bedeutung zu. Das Verbot sei jedoch zur Vermeidung von Infektionen weiterhin erforderlich. Das Gefährdungspotenzial von Gottesdiensten sei wesentlich höher als bei Einkäufen in Verkaufsstellen und Ladengeschäften. Im Unterschied zu Einkäufen seien Gottesdienste durch gezielte, auf längere Dauer ausgerichtete gemeinsame Aktivitäten geprägt, bei denen insbesondere wegen der Gleichzeitigkeit von Gebeten und Gesängen mit einem hohen Virenausstoß zu rechnen sei.

◼︎ Bundesverfassungsgericht: Ausnahmen müssen möglich sein

Das Bundesverfassungsgerichts wertet dies in Teilen anders. Zwar sei die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, wonach die Gefährdungslage bei Einkäufen und Gottesdiensten unterschiedlich zu beurteilen sein könne, nicht zu beanstanden. Jedoch sei mit Blick auf den schwerwiegenden Eingriff in die Glaubensfreiheit kaum vertretbar, dass die Verordnung keine Möglichkeit für eine ausnahmsweise Zulassung solcher Gottesdienste in Einzelfällen eröffnet, "in denen bei umfassender Würdigung der konkreten Umstände – eventuell unter Hinzuziehung der zuständigen Gesundheitsbehörde – eine relevante Erhöhung der Infektionsgefahr zuverlässig verneint werden kann".

Auch sei nicht erkennbar, dass eine einzelfallbezogene positive Einschätzung in keinem Fall erfolgen könne, wie das Bundesverfassungsgericht mit Verweis auf die Argumente des Glaubensvereins erklärt. So werde in den von ihm durchgeführten Freitagsgebeten nicht gesungen, und beim Gemeinschaftsgebet bete nur der Imam laut vor. Auch müssten die Gläubigen einen Mund-Nasen-Schutz tragen und vierfach größere Sicherheitsabstände als in Verkaufsstellen eingehalten werden, um die längere Zeit des Beisammensein zu berücksichtigen. 

Bei einem Antrag auf ausnahmsweise Zulassung von Gottesdiensten müsse das Gewicht der Glaubensfreiheit berücksichtigt werden, erklärt das Gericht. Das Freitagsgebet im Fastenmonat Ramadan etwa sei besonders hoch zu werten. 

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