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Aufgelesen: 403 Sekunden gegen 700 Kilometer

Warum uns China mal wieder einen großen Schritt voraus ist

Foto: LGheute11.09.2023 - Er ging durch alle Medien, die "tagesschau" berichtete ebenso pflichtgemäß wie das "heute journal", die "Süddeutsche Zeitung" oder "Spiegel online". Die Rede ist vom Ersten Spatenstich, der gestern von Klimaminister Robert Habeck für den Bau der Stromleitung "Südlink" pressewirksam in Szene gesetzt wurde. Die Botschaft, die von diesem PR-Spektakel ausging: In Deutschland geht es voran. Tatsächlich aber offenbart es das Gegenteil: Deutschland schafft es erkennbar nur mit äußerster Mühe, selbst eine simple Stromleitung noch auf den Weg zu bringen. In China hätte diese "Errungenschaft" es allenfalls auf die Seite einer Lokalzeitung geschafft. Denn dort ticken die Uhren anders.

403 Sekunden, so lange hat der chinesische Kernfusionsreaktor EAST – es steht für Experimental Advanced Superconducting Tokamak – kürzlich durchgehalten. Er hat es in dieser Zeit geschafft, 100 Millionen Grad heißes Plasma in dem Reaktor nicht nur zu erzeugen, sondern es auch in einen Plasmastrom von über eine Million Ampere zu verwandeln. "Ein Durchbruich bei der Kernfusion", wie das Fachmagazin "Forschung und Wissen" anerkennend berichtet.

Kernfusion wird von vielen seriösen Wissenschaftlern als Energiequelle der Zukunft gesehen. Zwar steckt sie noch in den Kinderschuhen, doch die in immer kürzeren Abständen erfolgenden Berichte über Fortschritte bei der Kernfusion zeigen, welches Potential in dieser Technologie steckt. Politisch ist sie auch deshalb interessant, weil sie, anders als die herkömmliche Kernspaltung, nicht mit den Problemen unbeherrschbarer Kernschmelze oder radioaktiver Endprodukte behaftet ist, die Millionen Jahre vor sich hinstrahlen.  

In Deutschland, ehemals führend auf dem Gebiet der Kerntechnologie, ist von derlei Dingen nichts zu hören, obwohl auch hier entsprechende Forschungsmittel bereitgestellt werden. Nur: Forschungsmittel allein reichen nicht, es braucht auch Unternehmen, die forschen wollen und die Ergebnisse ihrer Forschung wirtschaftlich nutzen können. Seit aber Kernenergie in diesem Land aus ideologischen Gründen tabu ist, verpuffen die bereitgestellten Mittel. 

In China läuft das anders. Bis 2035 will das Land einen industriellen Prototyp für Kernfusion errichten, Ziel ist es, die praxisnahe Forschung zu beschleunigen. 2050 soll die kommerzielle Nutzung der Kernfusion starten.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch ein Gutachten das Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Danach könnten Fusionskraftwerke bereits 2045 bereit sein. Nur: Die Fakten sprechen eine deutsche Sprache, wie das Beispiel "Südlink" zeigt. Das Vorhaben wurde bereits 2011 geplant, und eigentlich sollte die Stromtrasse schon längst fertiggestellt sein. Nun wird es nach heutiger Planung 2028. Frühestens. 

Während Deutschland also versucht, sein Heil in der Windkraft zu finden, und es dabei kaum schafft, eine simple Stromtrasse 700 Kilometer durchs Land zu ziehen, marschieren Länder wie China mit klarem Kompass voran. Dass das Land dabei die herkömmlichen Energiequellen Kohle und Gas ebenso nutzt wie die Kernspaltung, mag windkraftgetriebenen Politikern nicht gefallen. Doch ist das relevant?

Wohl kaum, denn entscheidend ist das angestrebte Ziel. Und da ist sogar das kommunistische China pragmatischer als das windorientierte Deutschland: Denn die Parteiführung in China will keine ideologiegetriebene Energieforschung oder -gewinnung, sondern eine, die den größten Nutzen verspricht – bei dem gigantischen Energiehunger dieses Landes kein Wunder.

China deshalb mit Millionen von Windrädern zu bestücken, scheint offenkundig nicht die Lösung des autokratisch geführten Landes zu sein. Es setzt stattdessen auf sinnvollere Technologien wie die Kernfusion. Vielleicht hat Deutschland seine Stromtrasse bis dahin ja fertiggestellt. Falls nicht, darf man bei den Chinesen sicher gern mal anfragen, was die Lizenz für den Bau eines Kernfusionsreaktors kostet. Billig wird es jedenfalls nicht.