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Aufgelesen: Haltung oder doch lieber Politik?

Die aktuelle Thüringen-Kontroverse offenbart die Defizite der etablierten Parteien 

Foto: LGheute16.09.2023 - Auch wenn in diesen Tagen von berufeneren Stellen längst ausführlich über die CDU-FDP-AfD-Abstimmung in Thüringen berichtet und geschrieben wird, zwei Punkte springen dann doch ins Auge, die meist nur am Rande oder gar nicht berücksichtigt werden und hier deshalb in den Blick genommen werden sollen. Es geht dabei zum einen um das fragwürdige Selbstverständnis der Rot-Rot-Grünen Minderheitsregierung und zum anderen um das nicht minder fragwürdige Politikverständnis der Schleswig-Holstein-CDU, genauer: ihres Ministerpräsidenten. 

Daniel Günther, CDU-Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, hatte es eilig, seine Botschaft zu platzieren. "Die zunehmende Radikalisierung der AfD erfordert eine noch konsequentere Haltung gerade einer konservativen Partei." So zitiert ihn die FAZ in dem Artikel "Daniel Günther kritisiert CDU für Abstimmung mit der AfD", in dem neben Günther alle zu Wort kommen, die ebenfalls meinen, sich dazu äußern zu müssen. Das immergleiche Ziel: Einen mehr oder wenigen banalen Vorgang zu einem Ereignis mit hoher öffentlicher Empörung zu machen, um daraus dann politisches Kapital für die eigene Sache schlagen.

Was in dem Günther-Zitat aufstößt, ist das Wort "Haltung". Dass der CDU-Ministerpräsident es wählt, zeigt, dass er offenbar immer noch glaubt, der AfD das politische Oberwasser, in dem diese Partei derzeit schwimmt, per "Haltung" wieder abgraben zu können – ein gefährlicher Fehlschluss, der die CDU noch viele Stimmen kosten kann. Denn in Zeiten hoher Energiekosten, Inflation, einsetzender Rezession, abwandernder Industrie, fehlender Fachkräfte, kostspieliger Klima-Vorgaben (Heizungsgesetz) und zunehmender Massen-Migration, sprich: in Zeiten, in denen der erreichte Wohlstand rasant auf Talfahrt geht, in solchen Zeiten legen die Menschen keinen Wert auf politische Haltungsformen, sondern auf belastbare Politik, die die Probleme des Landes und seiner Bürger angeht und löst. Wer das als Politiker nicht erkennt, sondern meint, seiner Verantwortung durch "Haltung" gerecht zu werden, der wird bei den anstehenden Wahlen sehr schnell eines Besseren belehrt.

Kommen wir zur Rot-Rot-Grünen Minderheits-Regierung in Thüringen. Sie darf regieren, weil CDU und FDP gerade nicht mit der AfD gemeinsame Sache machen, wie Thüringens Minderheits-Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) nicht müde wird, wider besseren Wissens immer wieder zu behaupten. Dass er also zusammen mit SPD und Grünen regieren darf, hat er also der CDU zu verdanken, die auf ein Bündnis mit der AfD verzichtet. Hier wird also eine Regierung, die keine parlamentarische Legitimität in Thüringen besitzt, am Leben erhalten, um die AfD außenvor zu halten. 

Dass Ramelow nahzu widerspruchslos dennoch den vermeintlichen Kniefall der CDU vor der AfD behaupten kann, wie in diesen Tagen landesweit nahezu reflektionslos in den Medien zu hören und lesen ist, zeigt, dass immer dann mit zweierlei Maß gemessen wird, wenn es gerade dienlich ist.

Interessant ist deshalb auch eine Äußerung von Brandenburgs CDU-Chef Jan Redmann. In dem FAZ-Artikel sagt er: "Ich finde die Debatte scheinheilig. Wenn Rot-Rot-Grün in Thüringen ein Vorhaben mit den Stimmen der AfD verabschiedet, höre ich keinen Aufschrei von SPD und Grünen aus Berlin." Wohl wahr, denn in den meinungsmachenden Medien war davon bislang kaum etwas zu hören oder lesen. Immerhin: Die "tagesschau" berichtete gestern, wohl notgedrungen, dass es ein solches Abstimmungsverhalten bislang tatsächlich zwei Mal in Thüringen gegeben hat.  

Auch SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert kommt in dem Beitrag zu Wort. Der habe, so ist es in dem FAZ-Artikel zu lesen, gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio gesagt: "Demokraten dürfen die AfD niemals zum parlamentarischen Zünglein an der Waage machen." Dass dies, sollten die Zustimmungswerte zur AfD weiter steigen, vielleicht sogar bald auch auf Bundesebene geschehen könnte, wichtige Gesetze also nicht mehr beschlossen werden, weil auch die AfD das Vorhaben für richtig hält, dazu sagt Kühnert nichts. Dann käme sogar die alte FDP-Losung in leicht abgewandelter Form wieder zur Geltung: Lieber nicht regieren, als mit Zustimmung der AfD regieren.

So aber bleibt es weiter bei dem Versuch, die Bürger per "Haltungs"-Politik von dem abzulenken, was eigentlich wichtig wäre: eine Politik, die die Probleme anpackt und sie nicht ausblendet. Solange das nicht geschieht, hat die AfD weiter leichtes Spiel.