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Aufgelesen: Nur die halbe Wahrheit

Warum die "Lüneburger Wochen gegen Rassismus" Wesentliches ausblenden

Foto: LGheuteLüneburg, 01.03.2024 - Wenn morgen auch in Lüneburg wieder die "Internationalen Wochen gegen Rassismus" starten, ist der Tenor vorgegeben: Rassismus in Deutschland blüht, seine Wurzeln liegen tief, die Gefahr kommt von rechts. Und: Eine Studie der Technischen Universität Berlin behauptet jetzt, die deutsche Gesellschaft sei schuld an der hiesigen Clankriminalität. Was das eine mit dem anderen zu tun hat? Beides zeigt, dass Rassismus in Deutschland noch immer als rein deutsches Problem betrachtet wird. Stimmen muss es deshalb aber nicht. 

"Nachdem Ende Januar rund 10.000 Lüneburger:innen gegen Rassismus und für Menschenrechte demonstriert haben, geht es ab Samstag, 2. März 2024, weiter mit dem Starkmachen gegen Rechts." Dieser Satz stammt nicht etwa von einer der inzwischen sich beliebig vermehrenden "zivilgesellschaftlichen Organisationen", die das Land mit regelmäßigen Aktionen gegen alles beglücken, was ihren zivilgesellschaftlichen Weltanschauungen widerspricht. Nein, dieser Satz steht auf der Internetseite der Stadt Lüneburg.

Verwundern dürfte dies vermutlich nur noch wenige, denn mit den Dauer-Demonstrationen der letzten Wochen scheint den meisten auch der kritische Blick auf die Realität abhanden gekommen zu sein. Seitdem darf unwidersprochen und sogar mit breiter Unterstützung der "Kampf gegen Rechts" beschworen werden. Wie sehr diese kollektive Selbstbeschwörung fruchtet, zeigt sich schon daran, dass nicht einmal mehr die Lüneburger CDU zu widersprechen wagt, die sich zumindest bislang selbst noch rechts im politischen Spektrum verortete.

◼︎ Studie: 81 Prozent der Taten gehen von Muslimen aus 

Dass Vorstellung und Wirklichkeit bisweilen doch nicht übereinstimmen, zeigt eine Analyse der "Neuen Zürcher Zeitung" (NZZ) über Antisemitismus-Vorfälle in Deutschland. In den Blick genommen wurde unter anderem die vom Bundeskriminalamt veröffentlichte Statistik zur "Politisch motivierten Kriminalität" (PMK), in der seit Jahren immer wieder behauptet wird, die allermeisten Vorfälle dieser Art gingen auf das Konto von Rechtsextremisten. Jeweils 94 bis 95 Prozent dieser Vorfälle wurden demnach stets rechtsextremen Tätern zugeordnet.

Das Problem: Die Zahlen stimmen mit der Wirklichkeit nicht überein. Eine Studie der Universität Bielefeld stellte 2017 fest, dass in Deutschland nach Einschätzung von Betroffenen, die politisch motivierter Kriminalität ausgesetzt waren, 81 Prozent der Taten von Muslimen ausgingen – die ihrerseits weniger als zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen, wie die NZZ weiter ausführt. Auf das Konto der Linken gingen demnach 25 Prozent, Rechte tauchen mit 19 Prozent erst an dritter Stelle auf. "Die Rangfolge ist also genau umgekehrt wie in der PMK-Statistik", so die NZZ. 

◼︎ Was nicht aufgeklärt werden kann, wird "rechts" zugeordnet

Woher aber kommen dann die hohen Werte in der PMK-Statistik? Dazu schreibt die NZZ: "Eine wesentliche Verzerrung entsteht durch die Tatsache, dass die meisten Taten gar nicht aufgeklärt, aber dennoch einem Täterkreis zugeordnet werden. Konkret werden aufgrund politischer Vorgaben fast alle Taten, deren Täter unbekannt bleiben, statistisch 'rechts' eingeordnet." So seien 2014 in Berlin nur 30 Prozent von 192 Straftaten aufgeklärt, aber 98 Prozent der Tätergruppe 'rechts' zugeordnet worden –  vermutlich einer der Gründe, warum gern die PMK-Statistik bemüht wird, wenn es um die Einordnung von Rechtsextremismus geht. 

Dieses Missverhältnis sei sogar dem "Antisemitimus-Expertenkreis" des Deutschen Bundestags aufgefallen. Er kritisierte, dass dadurch möglicherweise ein nach rechts verzerrtes Bild über den Täterkreis entstehe. Seine Schlussfolgerung: "Man darf also die Zahlen der PMK-Statistik nicht als Abbild der Realität missverstehen." Nur: Wozu braucht man dann eine Kriminalstatistik? Dass sich die Bundesbeauftragte für Integration und Antirassismus in ihrem neuesten Bericht dennoch auf die PMK-Statistik beruft, überrascht kaum.

◼︎ Clan-Kriminalität, weil Deutschland rassistisch ist?

Die Verzerrung der Wirklichkeit zeigt sich auch an einem anderen Beispiel. Dabei geht es um eine Studie der Technischen Universität Berlin, über die ebenfalls die NZZ berichtet. Das Ergebnis der Studie: Weil die deutsche Gesellschaft rassistisch und ausgrenzend sei, erführen arabischsprachige Grossfamilien Alltagsrassismus und Diskriminierung, wodurch ihre persönliche Entwicklung beeinträchtigt werde und die Neigung zu kriminellen Handlungen fördern könne. Deshalb, so die Studie, sei es auch kein Wunder, dass die Familien kaum Vertrauen in den deutschen Staat hätten und sich abschotteten und sich nur aufeinander verließen.

Zu der 660.000 Euro teuren Studie findet die Verfasserin des NZZ-Beitrags klare Worte. Dabei handele es sich um "ein verquast formuliertes akademisches Bullshit-Bingo, das vorrangig einem Zweck zu dienen scheint: an weiteres Steuergeld für viele anschließende Projekte und Studien zu gelangen". 

Das scheint auch das Ziel des umstrittenen Demokratiefördergesetzes zu sein, mit dem Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) die dauerhafte Finanzierung von Vereinen, Verbänden und NGOs sicherstellen will. 200 Millionen Euro sollen dafür bereitgestellt werden. In der Ampel-Regierung ist dieses Vorgehen umstritten, die FDP blockiert. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) sagte dazu gegenüber der dpa: "Der demokratische Verfassungsstaat hat nicht die Aufgabe, für gesellschaftliche Vielfalt zu sorgen. Wer meint, mit Hilfe eines Gesetzes über die gesellschaftliche Vielfalt entscheiden zu können, hat nicht den Schutz der Demokratie im Sinn, sondern eigene Machtpolitik."

◼︎ Innenministerium muss Studie zu Muslimfeindlichkeit zurücknehmen

Interessant für die stattfindende Diskurs-Verschiebung ist auch dieser Vorgang: Das von Nancy Faeser (SPD) geführte Innenministerium muss eine von ihm beauftragte Studie zur Muslimfeindlichkeit eindampfen, weil darin dem Autor Henryk M. Broder Unrecht getan wurde. Allerdings musste es dazu von einem Gericht erst verpflichtet werden. Vier Wochen nach dem Gerichtsbeschluss teilte das Ministerium jetzt mit, der Bericht sei vom Internetportal genommen worden; 200 restliche Druckexemplare wurden zudem "entsorgt".

In dem Bericht hatte ein älterer Artikel Broders als Beispiel für Muslimfeindlichkeit in deutschen Medien herhalten müssen. Dagegen war Broder gerichtlich vorgegangen. Verfasst wurde der Bericht vom "unabhängigen Expertenkreis Muslimfeindlichkeit".

◼︎ Lüneburger Wochen gegen Rassismus mit verengtem Blick

Wie bereits erwähnt, finden 33 Veranstaltungen während der Lüneburger Wochen gegen Rassismus statt. Die Themenvielfalt ist groß, es gibt Vorträge, Workshops, Podiumsdikussionen, musikalische Lesungen, Filme, ein Fest und sogar einen Tanzworkshop für Studenten, bei dem Tanzstile verschiedener Länder und Kulturen ausprobiert werden können. Ob Letzteres von den Angesprochenen auch angenommen oder wegen kultureller Aneignung boykottiert wird, bleibt indes abzuwarten.

Veranstalltungen, die nicht nur den verengten Blick auf Rassismus und Antisemitismus in Deutschland werfen, sondern auch mal den zunehmenden muslimischen Rassismus und Antisemitismus beleuchten, sucht man in den Lüneburger Rassismus-Wochen allerdings vergebens.