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Der Unterricht als Sozialfall

In Kaltenmoor sollen nun auch "Klassen-Teilhabe-Coaches" die Lerndefizite von Schülern beheben 

Spielen hilft: Sozialarbeiter Dominik Hacker-Bendlin im Unterricht mit drei Schülern. Foto: Stadt LüneburgLüneburg, 16.01.2024 - Die Zeiten, da ein Lehrer ausreichte, eine Grundschulklasse zu betreuen, sind lange vorbei. Mangelnde Disziplin, fehlender Respekt, Konzentrationsschwächen, aber zunehmend auch katastrophale Sprachkenntnisse sind bei vielen Schülern heute keine Seltenheit mehr und lassen einen normalen Unterricht kaum noch zu. Gründe dafür gibt es viele, die meisten sind vermutlich im Elternhaus zu finden. Die Schulen müssen es ausbaden und brauchen immer mehr personelle Unterstützung. Zu den ohnehin schon vorhandenen Schulsozialarbeitern an Lüneburgs Schulen kommen nun noch "Klassen-Teilhabe-Coaches" hinzu.

Er klingt irgendwie nach Sport und nach Mitmachen und das soll der Titel "Klassen-Teilhabe-Coaches" wohl auch. Doch die Realität ist wie so oft, wenn unangenehme Wahrheiten in wohlige Worte verpackt werden sollen, eine andere. Denn selbst die Schulsozialarbeiter, die an den acht Lüneburger Grundschulen und an der Förderschule Johannes Rabeler bereits im Einsatz sind und dort die Lehrer unterstützen, kommen mit der wachsenden Zahl an Problem-Schülern allein nicht mehr zurecht. 

◼︎ Modellprojekt in Kaltenmoor

An der Grundschule Anne Frank in Lüneburgs Stadtteil Kaltenmoor, bekannt für seinen hohen Migranten-Anteil, sind deshalb seit diesem Schuljahr weitere Sozialarbeiter im Einsatz. Bereits seit Frühjahr 2022 hatten Jugendamt und Grundschule an Möglichkeiten gearbeitet, entsprechende Unterstützungsmodelle zu entwickeln. In Abstimmung mit dem Regionalen Landesamt für Schule und Bildung ist das Modellprojekt mit den "Klassen-Teilhabe-Coaches" gestartet: Vier Sozialarbeiter des Sozialraumträgers AWO unterstützen die Lehrkräfte der ersten Klassen in enger Zusammenarbeit mit der Schulsozialarbeit.

"Es geht darum, Hürden im schulischen Alltag zu beheben, bevor diese zu einer echten Einschränkung der Teilhabe werden können", erläutert Cornelia Wilke, Sachgebietsleiterin Kinder- und Jugendhilfe bei der Stadt Lüneburg, die Aufgabe der neuen Schüler-Trainer. 

Ein Ersatz für die klassische Schulsozialarbeit sollen die Coaches nicht sein, vielmehr eine sinnvolle Ergänzung. Denn während sich die Schulsozialarbeiter weiter um das Erarbeiten sozialer Kompetenzen widmen, sollen die Klassen-Coaches im Unterricht direkt unterstützen, wie Sozialarbeiterin Yara Lübberstedt berichtet: "Ich bin Ansprechpartnerin für die Kinder in der Klasse, wenn sie Hilfe brauchen, und hole sie dort ab, wo sie gedanklich stehen." Und ihr Kollege Dominik Hacker-Bendlin berichtet, er gehe mit einzelnen Kinder auch schon mal kurz vor die Tür, wenn diese sich im Unterricht nicht konzentrieren können oder zu hibbelig sind.

◼︎ Unmut seitens der Eltern vorbeugen

Daneben sieht Hacker-Bendlin seine Aufgabe als Klassen-Coach auch in der Kommunikation mit Eltern: "Einige Familien kennen das deutsche Bildungssystem nicht. Hier begleite ich Elterngespräche und nehme mir Zeit, den Eltern das Schulsystem und die Erwartungen zu erklären." Oft könnten dadurch schon Missverständnisse ausgeräumt werden, die sonst zu Unmut zwischen Lehrern und Eltern geführt hätten. Für solch ausführliche und manchmal auch wiederkehrende Gespräche fehlten den Klassenlehrern laut Hacker-Bendlin aufgrund der Vielzahl an Aufgaben die Zeit.

Dass Klassenlehrerin Maren Bernhardt positiv auf die Unterstützung reagiert, verwundert nicht. "Mir hilft es enorm dabei, mehr Kinder tatsächlich am Unterricht teilhaben zu lassen und alle Kinder in den Blick zu nehmen."

◼︎ Mehr als 2.000 Schüler werden bereits betreut 

Die Kosten der vier Klassen-Coaches werden aus Mitteln der öffentlichen Jugendhilfe finanziert und mit je einer halben Sozialpädagogenstelle pro Klasse berechnet. Jeder Coach betreut einen Klassenverband mit 20 bis 30 Kindern. Ob es weitere Klassen-Coaches auch an anderen Schulen geben wird, soll eine Auswertung vor Beginn des kommenden Schuljahres ergeben.

Unabhängig von den Klassen-Coaches sind allein an den acht Lüneburger Grundschulen und der Förderschule Johannes Rabeler neun Schulsozialarbeiter im Einsatz mit sechs bis zwanzig Wochenstunden an den Schulen im Einsatz, je nach Erfordernis. Insgesamt werden bis zu 2.007 Schüler betreut, den höchsten Untersützungsbedarf hat die Grundschule Lüne mit 369 Schülern. Rund 220.000 Euro fallen dafür insgesamt pro Jahr an, die Kosten werden vom Landkreis Lüneburg getragen.

◼︎ Nur Rechte oder auch Pflichten?

Bei der Vorstellung dieses Modellprojekts verweist die Stadtverwaltung darauf, dass Bildung ein Grundrecht sei. Und weiter: "Wer wegen einer Einschränkung Unterstützung braucht, um gleichberechtigt eine allgemeinbildende Schule zu besuchen, hat ein Recht auf Teilhabe an Bildung. Die Umsetzung der inklusiven Bildung ist ein wichtiger Grundstein für die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft. Inklusive Bildung sieht vor, dass der junge Mensch mit all seinen Bedarfen ein Teil des Ganzen ist. Daher hat die Schule, in der Umsetzung ihres Bildungsangebotes, einen diskriminierungsfreien und gleichberechtigten Zugang für alle Schüler:innen anzupassen."

Der Kommentar von LGheute dazu: Oft vergessen, zumindest nicht ausdrücklich erwähnt, wird hier aber stets, dass es nicht nur ein Recht auf Bildung gibt, sondern auch eine Pflicht der Eltern und Erziehungsberechtigten, ihre Kinder so auf die Schule vorzubereiten, dass diese dem Unterricht auch folgen können. Schulen werden die Defizite nicht oder nur mit immer mehr Sozialarbeit auffangen können. Dazu sind sie aber nicht da.