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Haben die Wendländer sich an Sklaven bereichert?

Ein Forschungsprojekt an der Uni Lüneburg geht einer besonderen Frage nach 

An der Leuphana wird gern geforscht. Foto: LGheuteLüneburg, 01.02.2024 - Die Freiheit von Forschung und Lehre ist ja eine schöne Sache, sie nimmt bisweilen aber auch bizarre Formen an. Deutlich wird dies an einem Forschungsprojekt an der Leuphana Universität in Lüneburg. Dabei soll ein Zusammenhang zwischen der Leinenproduktion im Wendland und der Sklaverei in Amerika hergestellt werden. Logisch, dass die Forscher damit auch gleich der Frage nachgehen, ob die Wendländer sich an der Sklaverei bereichert haben. Kein Scherz.

Das Forschungsprojekt zur wendländischen Leinenproduktion will die Vorstellung hinterfragen, ob das Wendland im Nordosten Niedersachsens tatsächlich als so ländlich abgelegene Region gelten kann, wie gemeinhin bekannt ist. Dazu holen die Forscher weit aus. In einem Kooperationsprojekt mit der Fakultät Kulturwissenschaften der Leuphana will Sarah Kreiseler, Leiterin des Rundlingsmuseums Wendland, die bisher unerforschten überregionalen Handelswege und Verwendungszwecke des Leinens während der Kolonialzeit untersuchen. Ihre Vermutung: Das wendländische Leinen könnte, ebenso wie das aus anderen Hochburgen der Leinenproduktion, zur Herstellung von Kleidungsstücken für Sklaven in Amerika genutzt worden sein.

Zu dem Forschungsprojekt teilt die Leuphana mit: Im 18. und 19. Jahrhundert waren der Flachsanbau und das in Heimarbeit hergestellte Leinen im Wendland die einzige zusätzliche Einnahmequelle der dortigen bäuerlichen Bevölkerung und sorgten für einen bescheidenen, bis heute sichtbaren Wohlstand. Über die Geschichte des wendländischen Leinens ist bisher bekannt, dass die fertiggestellten Leinenballen in sogenannte Leggeanstalten nach Lüchow, Wustrow, Bergen (Dumme) und nach Dannenberg zur Kontrolle gebracht wurden. Dort verliert sich zunächst ihre Spur. Zu vermuten ist, dass das Leinen von dort wohl zumeist nach Hamburg weitertransportiert und von da aus in alle Welt verschifft wurde. Mit dem Projekt soll nun Klarheit über den weiteren Weg des wendländischen Leinens geschaffen werden.

Eine These, die die Forschung leitet, geht davon aus, dass der bescheidene Wohlstand der Bauern des Wendlands, der bis heute in den Häusern der für die Region typischen Rundlingsdörfer sichtbar ist, indirekt in einem kolonialen Zusammenhang stehen könnte. Letztlich gehe es darum, "mögliche weltweite Verflechtungen der regionalen Textilherstellung zu erforschen, zu dokumentieren und dann schließlich auch zum Gegenstand der Präsentation im Museum zu machen".

Das Projekt ist auf eine Laufzeit von zwei Jahren angelegt. Das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur fördert die Forschung mit knapp 100.000 Euro im Rahmen des Programms "Pro*Niedersachsen - Kulturelles Erbe – Forschung und Vermittlung in ganz Niedersachsen".