Am Jahrestag des Erscheinens des Berichts über den "Geheimplan gegen Deutschland" ist es in den Medien erstaunlich still
11.01.2025 - Wer gestern einen Blick in seine Tageszeitung warf, wird darin eines vermutlich nicht gefunden haben: eine Erinnerung an den Bericht, der gestern vor einem Jahr erschien und kurz darauf Hunderttausende zu Protesten in ganz Deutschland aufrief, auch in Lüneburg. Die Rede ist von dem angeblichen "Geheimplan gegen Deutschland", in dem "nichts Geringeres als die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland" geplant gewesen sei, wie die Plattform "Correctiv" damals schrieb. Davon wollen die meisten der Medien, die den Bericht damals unhinterfragt übernahmen, nichts mehr wissen. Aus gutem Grund.
Eigentlich gehört es zum normalen Tagesgeschäft einer Redaktion, an Geschehnisse zu erinnern, die vor einem, fünf, zehn oder mehr Jahren die Menschen aufgewühlt haben. Erst vor wenigen Tagen war so ein Tag. Am 7. Januar vor zehn Jahren ereignete sich der Terroranschlag auf die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo, bei dem zwölf Menschen getötet wurden. Die Medien berichteten auf allen Kanälen.
Gestern vor einem Jahr veröffentliche "Correctiv" seinen Bericht über den angeblichen "Geheimplan gegen Deutschland", ersonnen von ranghohen "AfD-Politikern", "Neonazis" und "finanzstarken Unternehmern" in einem Potsdamer Hotel. Die Empörung war gewaltig. Kaum ein Medium versäumte es, die Botschaften der "Correctiv-Recherche" zu übernehmen, und nicht wenige bemühten sich, die von Correctiv gewonnenen Erkenntnisse durch eigene Interpretationen noch zu toppen. Schnell war für viele klar: Hier sollte Anschluss gefunden werden an das, was mit der Wannseekonferenz im Januar 1942 begonnen und zu millionenfacher systematischer Vernichtung von Juden geführt hat.
"Gegen Rechts" lautete dann auch das Motto der Veranstaltungen, die kurz darauf bundesweit organisiert und durchgeführt wurden und Hunderttausende auf die Straße brachten, am 20. Januar auch in Lüneburg. Mehrere tausend Menschen waren hier der Einladung verschiedener Organisationen gefolgt und hatten sich auf dem Marktplatz vor dem Rathaus versammelt, um gemeinsam ein "Zeichen zu setzen". Es soll eine der größten Protestaktionen in Lüneburg gewesen sein, wie hinterher berichtet wurde. Auch die Politik war ganz vorn mit dabei, auf der Rednerbühne sprachen Vertreter von SPD, CDU, Grünen, FDP und Linken.
Heute ist es um das "Geheimtreffen" still geworden. Nicht etwa, weil alle, die sich an den vermeintlichen Plänen beteiligt hatten, wegen staatsgefährdender Umtriebe hinter Gitter sitzen, sondern weil seit dem Erscheinen des "Correctiv"-Artikels immer deutlicher wurde, dass vieles darin offenbar frei erfunden war. Das wurde inzwischen teils sogar von Gerichten bestätigt, nachdem Teilnehmer des Treffens gegen Behauptungen von "Correctiv" geklagt hatten.
So hatte das Hamburger Landgericht beziehungsweise das dortige Oberlandesgericht dem ZDF, dem für die "Tagesschau" zuständigen NDR sowie dem SWR mehrere Falschaussagen über das Treffen in Potsdam untersagt. "Alle drei öffentlichrechtlichen Sender hatten die Wertungen des "Correctiv"-Beitrags in ihren Beiträgen irreführend wiedergegeben", heißt es in einem heute erschienenen Beitrag der "Neuen Zürcher Zeitung" (NZZ).
Inzwischen scheint auch die Wochenzeitung "Die Zeit" auf Distanz zu dem "Correctiv"-Bericht gegangen zu sein. Sie soll, so berichtet die NZZ, den "Correctiv"-Reporter Jean Peters gefragt haben, ob bei dem Treffen das Wort "Vertreibung" gefallen sei, was dieser verneinte, um hinterherzuschieben: "Aber natürlich war es so gemeint."
Ähnlich urteilt inzwischen sogar die "Süddeutsche Zeitung" (SZ). So sei es "mehr Interpretation als Tatsache, dass in Potsdam von einer verfassungswidrigen 'Ausweisung' deutscher Staatsbürger gesprochen worden sei", heißt es in einem SZ-Artikel, aus dem die NZZ zitiert.
Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass bei all den Medien, die vor einem Jahr gar nicht schnell genug über den "Geheimplan gegen Deutschland" berichten konnten, der Jahrestag heute keine Erwähnung findet. Die Redaktionen vermeiden es lieber, an diese journalistische "Sternstunde" zu erinnern.
Übrigens: "Correctiv" wurde für seinen Bericht gleich mehrfach ausgezeichnet, unter anderem von der "Süddeutschen Zeitung".