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Aufgelesen: Wenn die Sprache verkümmert

Warum "Kulturschaffende" unselige Assoziationen zum Nationalsozialismus auslösen 

Foto: LGheute29.01.2022 - Dass Deutsch selbst für Eingeweihte bisweilen den Charakter einer Fremdsprache einnehmen kann, erfährt jeder, der regelmäßig den Newsletter der Duden-Redaktion erhält. Mal geht es darin um die Bedeutung des "e" und die Frage, ob es bei einer Adjektivbeugung weggelassen werden darf oder nicht, mal um das "Hin" und "Her", das auch klein geschrieben werden kann, ein anderes Mal um "als" und "wie" und warum mal ein Komma davor stehen muss und mal nicht. Das ist bisweilen anstrengend, doch die Sprachkenner bemühen sich anerkennenswerter Weise um Klarheit und Schärfe. Seit aber die Unwissenheit um die Bedeutung des generischen Maskulinums Redaktionen, Hörsäle und Rathäuser erreicht hat, schreitet auch die  Vereinnahmung der deutschen Sprache für politische Zwecke mit großem Tempo voran. "Kulturschaffende" ist so ein Ergebnis.

"Kulturschaffende – weibliche Person, die auf geistigem, kulturellem Gebiet produktiv tätig ist; Künstler; Intellektuelle" listet der Duden in seiner Online-Ausgabe bei entsprechender Sucheingabe auf. Was vor wenigen Jahren noch ein Künstler oder eine Künstlerin war, ein Dramaturg oder eine Dramaturgin, ein Intendant oder eine Intendantin, ein Bildhauer oder eine Bildhauerin, ein Komponist oder eine Komponistin, ein Dirigent oder eine Dirigentin – all das mutiert immer häufiger zu dem einen, allumfassenden Begriff des "Kulturschaffenden".

Der vermeintliche Vorteil: Als Gattungsbegriff erspart er Anhängern und Nutzern dieses Wortes nicht nur die generische Zuordnung, er erleichtert auch die Ausdifferenzierung. Schließlich ist es einfacher, lediglich von "Kulturschaffenden" zu sprechen oder schreiben, als sich der Mühe zu unterziehen, anzugeben, wen oder was genau man damit eigentlich meint.

Auf den Vereinfachungs-Trichter sind inzwischen auch andere gekommen. So gibt es mittlerweile auch "Theaterschaffende" oder auch "Musikschaffende". Und selbst die Angehörigen der "Presse" – der Begriff ist an sich schon eine grobe Verallgemeinerung – dürfen sich nun über die Bezeichnung "Medien-Schaffende" freuen, wie er zunehmend im Deutschlandfunk zum Einsatz kommt.

Beklagenswert ist aber nicht nur, dass mit jeder Vereinfachung auch eine Verarmung der Sprache einhergeht. Beklagenswert ist vor allem, dass jede Verarmung der Sprache eine Verkümmerung des Denkens zur Folge hat. Wenn Worte und Begriffe fehlen, bleibt unklar, was genau gemeint ist.

Doch genau diese Unbestimmtheit, die stets das Allgemeine vor dem Besonderen, den Staat vor dem Individuum betont, war mit auslösend dafür, dass Begriffe wie "Kulturschaffende" in den beiden deutschen Diktaturen ihre Hochzeit hatten: im Nationalsozialismus ebenso wie in der DDR. So schreibt der Duden zur Herkunft des Wortes "Kulturschaffende": "Ursprünglich nationalsozialistische Bezeichnung für die in der Reichskulturkammer zusammengefassten Angehörigen der freien Berufe" – zusammengefasst, das Ziel einer jeden Diktatur.

Man sollte also auf der Hut sein, wenn diese Formen des bewusst oder unbewusst verkümmernden Sprechens und Denkens wieder hoffähig werden. Insbesondere dann, wenn sie mit dem Anspruch des moralisch Höherstehenden einhergehen.