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"Wir haben ein gesellschaftliches Problem"

LGheute im Gespräch mit Christian-Tobias Gerlach über die Exzesse in der Silvesternacht

Christian-Tobias Gerlach. Foto: DPolG NiedersachsenLüneburg, 03.01.2023 - Es ist das Thema des gerade begonnenen Jahres: Wo kommt die Gewalt, wo der Hass gegen Polizei, Rettungs- und Einsatzkräfte her, die sich in der Silvesternacht auf bisher nicht gekannte Weise vielerorts entluden? Christian-Tobias Gerlach, CDU-Stadtratsmitglied in Lüneburg und Vorsitzender der Polizeigewerkschaft Lüneburg, versucht im LGheute-Interview Antworten zu geben.

Herr Gerlach, die Exzesse in der Silvesternacht sind bundesweit Thema. Teile der Politik fordern ein deutlich härteres Vorgehen. Was sagen Sie dazu?

Gerlach: Es mutet an, als würde durch derartige Ereignisse, die durch nichts zu entschuldigen sind, eine Art Pawlow'scher Reflex in der Politik sowie offensichtlich auch bei vermeintlichen 'Fachleuten' ausgelöst – wie wir es bereits von anderen nicht minder schrecklichen Taten kennen. Sei es die Forderung nach der Verschärfung des Waffen- oder des Strafrechts.

Und? Würde das der Polizei nicht helfen?

Ich bin im konkreten Fall der Meinung, dass Straftätern, die Feuerlöscher auf Rettungswagen werfen oder die Einsatzkräfte mit Böllern und Pyrotechnik angreifen, nicht mit Verboten beizukommen ist. Derartige Verbote schränken alle diejenigen ein, die sich an Recht und Gesetz halten, nicht aber die, die sich hiervon bereits abgekehrt haben. 

Das klingt nach Kapitulation.

Nein, aber die Ereignisse offenbaren meines Erachtens ein strukturelles und gesellschaftliches Problem, dem nicht mit Verboten beizukommen ist.

Was also fordern Sie?

Polizei und Justiz werden durch fortwährende Einsparungen, insbesondere beim Personal, zunehmend limitiert, obwohl die Zahl der Aufgaben in allen Bereichen zunimmt. Eine Entwicklung, die zunehmend auch Rettungsdienst und Feuerwehr betrifft. In Teilen der Gesellschaft ist zudem jeglicher Respekt gegenüber den Einsatzkräften verloren gegangen. Zu Beginn meiner, damals noch ehrenamtlichen, Tätigkeit wurden die meisten aggressiven Menschen spätestens dann ruhig, wenn Rettungsdienst oder Feuerwehr am Einsatzort ankamen, was heute nicht mehr so ist. Heute sieht sich zum Beispiel die Polizei bereits elterlichen Anfeindungen ausgesetzt, wenn diese es wagt, einen Spross nach einem Ladendiebstahl mit auf die Wache zu nehmen und die Eltern auffordert, diesen abzuholen – besser wäre es schließlich, ihn vor Ort laufen zu lassen.

Ist mehr Personal da wirklich die Lösung?

Die Geschehnisse in der Silvesternacht müssen ganzheitlich politisch aufgearbeitet und es müssen die richtigen Schlüsse gezogen werden.

Und was sind die richtigen Schlüsse?

Das Gewaltmonopol des Staates muss wieder zu jeder Zeit gewährleistet sein. Die Täterinnen und Täter müssen ermittelt und zur Rechenschaft gezogen werden. Dafür braucht es einfach mehr Personal. Der Staat darf nicht das Gefühl vermitteln, dass derartige Taten ungestraft bleiben. Eine umfassende Beweissicherung durch den flächendeckenden Einsatz von Dashcams und den konsequenten Einsatz der BodyCam – auch in Innenräumen – würde dieses sicherlich unterstützen.

Sie sprechen von Strafe. Dafür sind aber die Gerichte zuständig.

Bei Angriffen auf Einsatzkräfte muss die Strafe meines Erachtens sprichwörtlich 'auf dem Fuße folgen'. Beschleunigte Verfahren wären hier zum Beispiel ein probates Mittel.

Sind in der Silvesternacht einzelne Bevölkerungsgruppen überdurchschnittlich aufgefallen? 

Glücklicherweise sind mir aus dem gesamten Bereich des Direktionsverbandes Lüneburg keine derartigen Vorfälle bekannt. Hier sei es verhältnismäßig ruhig gewesen – von 'üblichen' Silvestereinsätzen abgesehen. Ich könnte mich also lediglich auf Videos und Schilderungen aus Großstädten, wie Berlin, Hannover oder Nürnberg sowie die Medienberichte beziehen. Ich erkenne insgesamt gewisse Parallelen zu den Chaostagen in den 80er- und 90er-Jahren, kann Ihre Frage dennoch nicht abschließend beantworten.