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Aufgelesen: Wenn Arbeit zum Problem wird

Warum die "alten weißen Männer" wichtiger denn je sind

Foto: LGheute01.05.2023 - Wenn heute am "Tag der Arbeit" die Gewerkschaften wieder ihre Fahnen schwenken, ist es auf den ersten Blick wie immer: Forderung nach geringeren Arbeitszeiten und höheren Löhnen. Zugleich ist der Tag aber auch eine große Werbeveranstaltung in eigener Sache, denn die Gewerkschaften brauchen dringend zahlenden Nachwuchs, also passende Argumente. Und weil der mehr an seine "work-live-balance" als ans Arbeiten denkt, soll es jetzt die 4-Tage-Woche bringen. Wie die insbesondere von den Jüngeren geforderte "gesellschaftliche Transformation" gelingen soll, ist auch schon klar.

Gut ausgebildet, hoher Erfahrungsschatz, pflichtbewusst und arbeitswillig – die Rede ist von den "alten weißen Männern", die es wieder richten und den Wohlstand der Gesellschaft sichern sollen. Sie, die ihren Teil zum Aufbau der Gesellschaft längst geleistet haben, werden nun zurück an die Werkbänke der Industrie gerufen, die um ihre Zukunftsfähigkeit bangt. Man brauche sie dringend, heißt es aus den Unternehmen, und auch die Politik stimmt auf breiter Front mit ein. 

Der "demographische Wandel" sei schuld, dass nun die Fachkräfte fehlen, lautet die Begründung, so hört man es schon seit Jahren. Das stimmt, aber nur zum Teil. Denn die Bildungspolitik der vergangenen Jahrzehnte hat die Schulabgänger in bislang ungekanntem Maße in die Hochschulen und Universitäten getrieben statt in die Ausbildungsbetriebe. Die Folge sind Hunderttausende gut ausgebildete junge Menschen, die zwar viel über den Klimawandel, soziale Gerechtigkeit und Wohnungsnot erzählen können, aber nicht, wie Windkrafträder gebaut, Dächer gedeckt, Heizungen installiert und Stromkreise verkabelt werden.

Es sind also die – von den sich intellektuell wähnenden Kreisen gern verschmähten – "alten weißen Männer", die nun weiterarbeiten sollen, weil die "Woken" andere Ziele haben: das Leben genießen, die Fitness steigern, Freundschaften pflegen, dem Partner Raum schenken, vielleicht sogar Kinderwünsche erfüllen. Dass Arbeit da nur stören kann, hat auch die SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken verstanden und sich gleich an die Spitze der Befürworter einer 4-Tage-Woche gesetzt – bei vollem Lohnausgleich, versteht sich.

Während diese Jungen also vornehmlich sich selbst im Blick haben, erwarten sie gleichzeitig, dass alles um sie herum passgenau weiterläuft oder eher noch besser wird.

Beispiel Kita: So sollen für den eigenen Nachwuchs die Kita-Zeiten erweitert, die dortigen Gruppen verkleinert und die Kosten dafür von der Gemeinschaft getragen werden. Von den Arbeitgebern wurde das stets begrüßt, doch jetzt erfahren auch sie, dass dies vielfach nicht zu mehr Einsatz ihrer Mitarbeiter im Unternehmen, sondern in der Freizeit führt.

Beispiel Schule: Ganztagsschule mit Mittagsversorgung, Klassenzimmer, die möglichst nicht älter als zehn Jahre sein dürfen, kostenloser Schulbus, Klassengröße begrenzt auf 20 Schüler und Privatschulen zum Wechsel, wenn der Anteil der Migranten zu groß wird.

Beispiel Arbeit: Flexible Arbeitszeiten von Vollzeit bis Viertelzeit mit garantiertem Wechselanspruch, Home-Office mit finanziellem Ausgleich, längere Elternzeiten für beide und längerer Sonderurlaub bei krankem Kind, Karriere-Garantie für Quoten-Frauen, die gern mal den Chef bezichtigen, wenn sie selbst sich zu kurz gekommen fühlen. Und jetzt die 4-Tage-Woche.

Dass die Kita-Mitarbeiterin all diese Errungenschaften selbst gern in Anspruch nehmen möchte, stößt bei "woken" Eltern zumeist auf Unverständnis. 

Die Gesellschaft verändert sich und hat sich bereits verändert, allerdings anders, als gemeinhin postuliert wird. Die große "Transformation" hingegen, die den Klimawandel verhindern und den Weg in die wohlstandsgarantierte Gesellschaft sichern soll, dürfte schon im Ansatz scheitern, wenn Veränderung stets als Veränderung für andere verstanden wird.

Wenn die Gewerkschaften heute also den Jungen den Teppich ausrollen, sollten sie die "alten weißen Männer" nicht aus dem Blick verlieren.