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Aufgelesen: "Politischer Spielplatz der wenigen"

Gelungener Kommentar der "NZZ" zur Karlsruher Entscheidung zur Erhöhung der Rundfunkgebühren

Foto: LGheute05.08.2021 - Das Bundesverfassungsgericht hat heute Sachsen-Anhalt untersagt, im Alleingang die Erhöhung des Rundfunkbeitrags zu stoppen. Damit hat das Gericht zugleich den Weg frei gemacht für die umstrittene Erhöhung des Beitrags. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ARD, ZDF und Deutschlandradio, die vor dem Bundesverfassungsgericht gegen Sachsen-Anhalt geklagt hatten, taten sich heute schwer, ihre Freude über die zusätzlich fließenden Milliardenbeiträge öffentlich zu unterdrücken. Doch das System krankt, wie ein lesenswerter Kommentar in der "Neuen Zürcher Zeitung" (NZZ) deutlich macht.

Manchmal braucht es eben Distanz, um Dinge richtig einordnen zu können. Während der Leitartikler der "Süddeutschen Zeitung" Heribert Prantl voll des Lobes über die Karlsruher Entscheidung war – der Deutschlandfunk hatte ihn wegen eigener "Befangenheit" eingeladen, einen Kommentar zur heutigen Entscheidung abzugeben, die Prantl auch ehrerbietigst erfüllte –, nahm die NZZ die Entscheidung genauer unter die Lupe. 

Heraus kam eine Generalabrechnung mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland. Alexander Kissler, der für die NZZ als politischer Beobachter in Berlin arbeitet, hat in seinem Kommentar Probleme und Defizite offengelegt, die bei ARD und ZDF selbst nie zur Sprache kommen würden, vermutlich noch nicht einmal intern wahrgenommen werden. Auch nicht beim Deutschlandradio, das sich selbst gern als kritischer Begleiter der deutschen Politik sieht, häufig aber – wie auch die anderen Sendeanstalten –  durch Voreingenommenheit glänzt.

Kissler hingegen schaut genauer hin: "ARD, ZDF und Deutschlandradio befinden sich in der komfortablen Situation, weitgehend eigenständig entscheiden zu dürfen, welcher Betrag ihnen angemessen scheint, um ihrer verfassungsgemässen Aufgabe nachzukommen." Er wirft damit den Blick darauf, dass in Deutschland lediglich über die Höhe der Beitragserhöhungen gestritten werden darf, nicht aber über deren Notwendigkeit. Denn offenbar wird nirgendwo die Sinnfrage gestellt, ob Deutschland wirklich an die 90 Sender braucht – öffentlich-rechtliche, versteht sich.

Dass die Politik sich mit Kritik schwer tut, ist verständlich vor dem Hintergrund, dass Kritiker von ARD, ZDF und Deutschlandradio fürchten müssen, von diesen anschließend wegen vermeintlicher "Beeinflussung der Pressefreiheit" ins Visier genommen zu werden. Die Vierte Macht im Lande weiß, wie Gegner klein gehalten werden.

Dass Kissler beklagt, viele Sendeformate hätten eine "weltanschauliche Schlagseite", verwundert daher nicht. "Politische Magazine werden zu Verkündigungskanzeln linker Botschaften, Gesprächssendungen werben leidenschaftlich für die Grünen, Nachrichtensendungen übernehmen die Agenda von «Fridays for Future», und in den sozialen Netzwerken liefert man sich oft einen programmatischen Überbietungswettbewerb mit dem «Neuen Deutschland»."

Konkrete Kritik übt der NZZ-Kommentator aber auch am Bundesverfassungsgericht. So mache die Vorgabe des Gerichts, das Bundesland dürfe sich nicht allein gegen die Empfehlung der Rundfunkgebühren-Kommission KEF stellen, den "frei gewählten Parlamentarier zum Vollzugsbeamten". Zugleich werfe sie "erhebliche verfassungsrechtliche Probleme" auf: "In den Landesparlamenten muss demnach über den jeweils neuen Medienänderungsstaatsvertrag abgestimmt, aber es darf nur zugestimmt werden? Warum soll dann überhaupt abgestimmt werden? Wo bleibt die parlamentarische Kontrolle? Um diesen Fragenkomplex haben sich die Karlsruher Richter gedrückt. Sie werden ihn eines Tages beantworten müssen."

Doch es geht noch weiter. So fragt Kissler nach der Berechtigung, mit der die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten "Abermillionen, wie jüngst bei WDR und SWR geschehen, in die Eroberung der Fläche durch neue Immobilien fliessen sollen". Er spielt damit auf aberwitzige Kostenerhöhungen für den Bau neuer Sendehäuser in diesen Sendeanstalten an. 

Und weiter: "Es gibt kein Mandat, die zahlende Bevölkerung gegen deren Willen zu jenem Stummel- und Stammeldeutsch umzuerziehen, das geschlechtergerecht sein soll und nur sinnwidrig ist." Man könnte auch fragen: Haben die Öffentlich-Rechtlichen einen Bildungs- oder einen selbsterklärten Umerziehungsauftrag?

Und: "Es gibt keine Rechtfertigung für immer neue digitale Projekte, die privaten Anbietern, die erwirtschaften müssen, was sie erlösen, das Überleben erschweren. Und je länger die weltanschauliche Schieflage anhält, desto weniger einsichtig ist es, warum alle zahlen sollen für den politischen Spielplatz der wenigen."

Fazit: Es ist erfrischend, diesen Kommentar zu lesen. Er zeigt Missstände auf und überzeugt mit Kenntnis für Zusammenhänge, die den meisten bundesdeutschen Medien inzwischen offenbar vollkommen abhanden gekommen ist.