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Aufgelesen: Die "acht Arschlöcher in Karlsruhe"

Foto: LGheute07.09.2021 - Ob es wirklich stimmt, dass Willy Brandt die Richter des Bundesverfassungsgerichts in interner Runde mal als die "acht Arschlöcher in Karlsruhe" bezeichnet hat, ist aktenkundig nicht belegt. Der Ausspruch hält sich dennoch seit 1972, als der frühere SPD-Bundeskanzler diese Worte im Zusammenhang mit der Verabschiedung der damals umstrittenen Ostverträge benutzt und Sorge gehabt haben soll, ob Karlsruhe die Verträge akzeptiert. Daran erinnert die "Neue Zürcher Zeitung" (NZZ) in einem Beitrag anlässlich des 70. Geburtstags des höchsten deutschen Gerichts – und an Kritik, die es in jüngster Zeit erfährt.

Es war das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimawandel, das erst vor wenigen Wochen für Erstaunen sorgte. Die Richter in den roten Roben hatten der Politik aufgegeben, das Tempo beim Klimaschutz zu erhöhen. Zur Begründung hieß es: die Folgen des Klimawandels dürften nicht nur den nachfolgenden Generationen auferlegt werden. Offen blieb dabei aber die Frage, ob eine Erhöhung des Tempos etwa durch einen noch schnelleren Ausstieg aus Kernenergie und Kohlekraft überhaupt machbar ist, ohne Wirtschaft und Wohlstand des Landes massiv zu gefährden. Die Politik gehorchte dennoch. 

Ein weiteres Beispiel: die Erhöhung der Rundfunkgebühren. Dagegen hatte sich das Land Sachsen-Anhalt gewandt und wurde prompt vom Bundesverfassungsgericht abgewatscht. Es stehe dem Land nicht zu, die geplante Gebührenerhöhung abzulehnen – eine Entscheidung, die bei vielen die Frage danach aufwarf, ob ein Landesparlament nur noch zum Abnicken da sei. "Dies scheint auf den Kopf zu stellen, was vom Gericht bisher stets hochgehalten worden war: der unbedingte Vorrang des Parlaments", schreibt die NZZ in ihrem Beitrag "Vom Gegenspieler der Regierung zu Merkels verlängertem Arm? Das deutsche Bundesverfassungsgericht wird 70 Jahre alt".

Aber auch die Zurückhaltung des Gerichts zur Frage, ob die von der Bundesregierung erlassenen Freiheitseinschränkungen während der Corona-Pandemie überhaupt verfassungskonform sind, wird in dem Beitrag kritisch hinterfragt. Dazu heißt es dann weiter: "Bedenkt man dann noch die Parteifreundschaft zwischen der Bundeskanzlerin und dem Gerichtspräsidenten, einem ehemaligen Bundestagsabgeordneten der CDU, so erscheint der mitunter erhobene Vorwurf, das Gericht verkomme zum verlängerten Arm der Regierung, als nicht fern liegend."

Doch es gibt nicht nur Kritik. Immer wieder, so der Beitrag, habe das Gericht Entscheidungen "im Dienst maximaler Freiheit" getroffen und dabei auch das Thema Gleichberechtigung von Mann und Frau in den Blick genommen. So musste 1979 der bezahlte, arbeitsfreie "Haushaltstag" für Frauen abgeschafft werden, weil er gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen habe. Interessant dabei: Die damalige Entscheidung zeigt, wie sehr Beschlüssen des Gerichts immer auch die jeweilige gesellschaftliche Entwicklung zugrunde liegt. Heute hätte das Gericht vielleicht entschieden, dass der Haushaltstag Frau und Mann gleichermaßen zustehe.