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"Das Gendersternchen verfehlt seinen Zweck"

Gegenrede: Birte Schellmann (FDP) zu einem Antrag der Grünen für eine gendersensible Sprache

Die FDP-Politikerin Birte Schellmann ist seit 1991 im Rat der Stadt Lüneburg. Der Fraktion saß sie von 1996 bis 2011 und von 2016 bis 2019 vor. Außerdem hat sie als Beigeordnete Sitz und Stimme im Verwaltungsausschuss und ist Vorsitzende des Schulausschusses.  Foto: privat30.10.2020. Werden Frauen und Menschen unbekannten Geschlechts diskriminiert, weil sie sprachlich angeblich zu kurz kommen? Anhänger einer sogenannten "gendergerechten Sprache" sind davon fest überzeugt und fordern Änderungen, die etwa per "Gender-Stern" und Anhängsel wie bei Bürger*innen beide Geschlechter berücksichtigen sollen. Ungeachtet der Tatsache, dass nur Lebewesen, nicht aber Wörter ein Geschlecht haben, sind die Grünen im Lüneburger Stadtrat davon überzeugt, hier voranschreiten zu müssen. Birte Schellmann (FDP) nahm in der jüngsten Ratssitzung zu dem Grünen-Antrag "Gendersensible Sprache in der Hansestadt Lüneburg etablieren" Stellung. Hier ihre Gegenrede.

Birte Schellmann in der Ratssitzung am 27. Oktober: 

"Ich gebe zu: Mir stellte sich das Problem nie, weil mir seit meinem Studium der Sprach- und Literaturwissenschaft und danach als Juristin das Abstrahieren von subjektiven Privatbedingungen völlig vertraut ist,
- indem ich zum Beispiel wusste und akzeptierte, dass das Genus eine grammatische Einteilung der Sprache ist, die nicht gleichzusetzen ist mit dem Geschlecht des Lebewesens.
- weil ich zum Beispiel auch wusste, dass der Mörder des § 211 StGB sich nicht nur auf ein männliches Wesen, sondern auf jeden Menschen bezieht, der die Tatbestandsmerkmale des Mordes erfüllt.

Ich fühlte mich, was den ersten Fall angeht, deshalb immer selbst gemeint und nicht nur mitgemeint, wenn es um Bürgerrechte, Grundrechte und Gesetze etc. ging. Und ich gebe auch zu, dass es mir deshalb äußerst schwerfällt 'gendersensibel' zu sprechen, ganz abgesehen von den Bauchschmerzen und Widerwillen, die mir die Bürokratisierung der Sprache verursacht, die zum Verschwinden ungezählter Wortbedeutungen und damit zur Verarmung der Sprache führen wird.

Es ist allerding richtig, dass die sozialen, kulturgeschichtlichen und damit gesellschaftlichen Verhältnisse der Vergangenheit auf die Entwicklung der Sprache großen Einfluss hatten und sich in der Sprache bis heute widerspiegeln. Vor über hundert Jahren gab es beispielsweise überwiegend männliche Lehrer, heute gibt es mehr Lehrerinnen als Lehrer! Die Frauenwelt hat inzwischen alle Berufe erobert und man kann feststellen: Die Sprache hinkt tatsächlich der Wirklichkeit hinterher. Insoweit ist die Sensibilität gewachsen, so dass das für viele – wenn auch nicht für die Mehrheit der Bevölkerung – offensichtlich zu einem gesellschaftlichen Problem geworden ist.

Aber allein die Reaktionen, dass inzwischen bei Briefen, Mails und öffentlichen Veranstaltungen schon in der Anrede fast immer beide Formen genannt werden, dass das Bundesverfassungsgericht 2017 entschied, das Personenstandsgesetz wegen Verfassungswidrigkeit über das weibliche und männliche Geschlecht hinaus ändern zu lassen, zeigen, dass das von vielen bis in höchste Institutionen so empfunden wird.
Die männliche Dominanz in der gesprochenen Sprache wird als unzulänglich angesehen, denn alle unterschiedlichen Geschlechter sollen hörbar und auch sichtbar in der Sprache angemessen berücksichtigt werden. An den Beispielen von Azubis und Lehrkräften ist heute schon erkennbar, dass die geschlechtergerechte Sprache bereits ihre Spuren hinterlassen hat, und das wird so weitergehen: Denn Sprache ist nicht unantastbar, sie ist immer im Wandel, sei es durch Jugendjargon, neue Wortbildungen in der Literatur oder Alltagssprache, sei es durch Anglizismen oder flapsige Modeausdrücke etc., die sich durchsetzen, auch wenn das vielen nicht gefallen mag.

Dem Antrag der Grünen, die Verwaltung aufzufordern, einen Leitfaden zur Verwendung von gendersensibler Sprache zu entwickeln, begegnen wir von der FDP allerdings mit größter Skepsis. Wir unterstützen die Bemühungen um eine sprachliche Gleichbehandlung zwar, lehnen diesen Antrag aber ab. Angesichts der jetzt schon bestehenden Leitfäden von Unis (FU Berlin, LMU München) und Städten (Hannover, Lübeck), die völlig Unterschiedliches empfehlen, oft keine Rücksicht auf Sprachlogik, Grammatik und Stil nehmen, Formen vorschlagen, die es nicht gibt, und glauben, geschlechterneutrale Partizipien einzuführen zu können, die in Wirklichkeit aber etwas ganz anderes bedeuten als sie meinen, veranlassen uns, dagegen zu stimmen.

Die hitzige Debatte ist überall, alle nur möglichen Formen, auf die ich hier aus Zeitmangel nicht weiter eingehen will, werden ausprobiert und zum Teil Wortungetüme entwickelt (Studierendenschaft!), die selbst Befürworter der diskriminierungsfreien Sprache ablehnen. Die Auswahl an Möglichkeiten ist riesengroß und wird durch weitere Leitfäden nur noch unübersichtlicher.

Auch wenn sie zunächst nur in der Verwaltung gelten sollen, geben Sie sich keiner Täuschung hin: wie schnell wird das von oben, von der Bürokratie, Verordnete für alle obligatorisch – und sei es nur aus Gründen der 'political correctness'. So von oben in eine Sprache einzugreifen, steht einer natürlichen Sprachentwicklung entgegen, und das halten wir für unzulässig. Es erinnert uns fatal an George Orwell's Roman '1984' oder auch an die verordneten Sprach- und Denkgebote der DDR. An den Unis in Berlin und München gibt es bereits heute Punktabzug bei den Hausarbeiten und Masterarbeiten bei Weglassen der Sternchen.

Und wie schnell ergießt sich auch über uns Kommunalpolitiker oder über Privatpersonen ein Shitstorm, wenn sie aus Unachtsamkeit oder anderer Ansicht die Leitlinien nicht befolgen. Sie gelten dann als Konservative, als Ewiggestrige, die oft noch in die rechte Ecke gestellt und damit ausgegrenzt werden. Dabei wollen sie lediglich auf den Lesefluss, Verständlichkeit des Inhalts, Vorlesbarkeit achten und folgen ihrem Sprachgefühl, das oft sensibler und genauer ist als das von den gendergerechten Befürwortern.

Aber zeitgenössische Trendsetter vermag das alles freilich kaum zu beeindrucken. Da aber momentan noch alles im Fluss ist, lassen Sie uns nichts übers Knie brechen, sondern geben Sie uns Zeit, verschiedene Lösungen auszuprobieren und kritisch zu prüfen, was sich durchsetzen wird, um dann aktiv die beste Lösung zu übernehmen.

Unabhängig davon ist die Verwaltung seit längerer Zeit zunehmend dabei, alle Geschlechter gleichmäßig anzusprechen, die richtigen Anreden und geschlechtsneutralen Formulierungen zu wählen. Auch wenn die Adressaten dann auf das formlose, personenunabhängige und fast unhöfliche 'Hallo' reduziert werden. Dass darüber hinaus die Verwaltung – was die Genderfrage angeht – keiner Nachhilfe bedarf, beweisen die immer sensibler werdenden Texte der Ausschreibungen und die Tatsache, dass auch die oberen Leitungsfunktionen in unserer Stadt überwiegend von Frauen besetzt sind, Frauen dort inzwischen 'sichtbarer' als Männer sind.

Auf eine Gefahr für uns Politiker möchte ich in diesem Zusammenhang allerdings noch hinweisen dürfen: Unsere Aufgabe für die Bürger besteht eigentlich darin, über Unterschiede hinaus das Allgemeine zu finden, das Gleichheitsversprechen einzulösen: Alle diese Bewegungen wie zum Beispiel Frauen-, Schwulen- und Umweltbewegung, Bewegung für gendergerechte Sprache etc. haben für uns einen nachvollziehbaren politischen, sozialen und ökonomischen Ansatz, verfallen dann aber häufig der Versuchung, ihre Identität dermaßen zu verabsolutieren, indem sie sich auf die Unterschiede fokussieren, sich damit abgrenzen, ausgrenzen und die eigenen Reihen schließen. Es geht uns doch ums Integrieren, weil nur das die Gemeinsamkeit befördert.
Ein Zeichen wie das Gendersternchen, das die Augen stolpern lässt, den Lesefluss stört und vom Inhalt ablenkt und bis hin zum Abbrechen des Lesens führt, verfehlt seinen Zweck, denn es erinnert immer an alle Gegensätze und die Widersprüche, die es auch auf diese Art nicht auflösen kann."