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Lüneburg kracht in die Miesen

Haushalt gerät wegen Corona mächtig unter Druck – Und der Rat redet und redet und redet 

Die Ratsvorsitzende Christel John (stehend) bemühte sich, die Redebeiträge der Ratsmitglieder in Grenzen zu halten. Im Vordergrund (v.l.) Stadtrat Markus Moßmann, Stadtkämmerin Gabriele Lukoschek und Oberbürgermeister Ulrich Mädge. Foto: LGheuteLüneburg, 27.11.2020 - Wer sich gestern auf den Weg ins Kulturforum nach Wienebüttel machte, um dort Lüneburgs Ratsmitglieder beim Abarbeiten der vor ihm liegenden Tagesordnungspunkte zu begleiten, wurde gleich mehrfach bestraft. Nicht nur, weil sich die Temperaturen in der hölzernen Veranstaltungshalle gefühlt nur wenige Grad über dem Gefrierpunkt bewegten und Besucher bis zum bitteren Ende geschlagene fünf Stunden in der Kälte ausharren mussten, sondern weil trotz der Dauer kaum etwas von der gewaltigen Aufgabenliste abgearbeitet worden war. Denn statt zügig Entscheidungen zu treffen, wurden wieder einmal nach Herzenslust ellenlange Vorträge gehalten. Dabei nahm der Haushaltsplan für 2021 die meiste Zeit in Anspruch.

Es war Stadtkämmerin Gabriele Lukoschek, die mit ihrem Bericht zum Haushaltsplan 2021 den Auftakt für den Redemarathon machte. Doch statt sich auf die Zahlen zu konzentrieren, die alles andere als erfreulich daherkommen, widmete sie sich minutenlang Corona, sprach über Kontaktsperren, Home-Office, Outdoor-Kunst, Lernen bei offenen Fenstern, Ängste über den Verlust von Arbeitsplätzen und den verstärkten Hang nach Toilettenpapier.

Lukoschek listete auf, was allen Ratsmitgliedern längst bekannt war, schließlich hatten diese ja bereits Maßnahmen ergriffen, um finanzielle und existenzielle Nöte in Betrieben, Gastronomie und Kultur abzuwenden. Doch statt über Effektivität und Wirkungen dieser Maßnahmen zu berichten, erging sich die Kämmerin in Überlegungen zum Fensteröffnen und den "20-5-20-Rhythmus" im Präsenzunterricht.

Dass die Ratsmitglieder dies als muntere Aufforderung verstehen mussten, es ihr ausgreifend nachzutun, verwunderte nicht. Und so musste Ratsvorsitzende Christel John ein ums andere Mal die Vortragenden an das Ende ihrer Redezeit erinnern. Den Vogel schoss dabei Philipp Meyn (SPD) ab, der so lange über dieses und jenes sprach, dass er sein eigentliches Anliegen, die Begründung von Änderungsanträgen der SPD, nicht mehr vorbringen konnten und unverrrichteter Dinge wieder Platz nehmen musste. Es war letztlich die AfD, die sich stets kurz fasste und wiederholt, aber vergebens mahnte, ihr dies gleichzutun. 

Haushalt bricht massiv ein

Hier nun zum Haushaltsplan 2021, dem mehrheitlich zugestimmt wurde. Danach wird die Stadt das Jahr unterm Strich mit einem Minus von 12,7 Millionen Euro abschließen, das nur durch den Verkauf von Grundstücken auf immer noch minus 5,5 Millionen Euro verringert werden kann. Zu dem Ergebnis tragen Investitionen in Höhe von 35,6 Millionen Euro bei, für die wiederum Kredite in Höhe von 13,8 Millionen Euro aufgenommen werden müssen und zu einer Netto-Neu-Verschuldung von 4,5 Millionen Euro führen.

Dass Lukoschek dieses Ergebnis nur schweren Herzens vorstellte, war ihr abzunehmen. Denn die Stadt war auf dem besten Weg, sich von ihrem zuvor langanhaltenden und hogen Schuldenberg zu verabschieden. Doch Corona machte der Stadtkämmerin einen Strich durch die Rechnung. Denn es ist der damit verbundene massive Einbruch bei der Gewerbesteuer – minus 13 Millionen Euro –, der das neue Schuldenloch für die Stadt schuf.

Hier die markantesten Wortbeiträge in der Zusammenfassung:

"Es gibt Risiken, ja, aber es lohnt, dem Haushaltsplan zuzustimmen, weil die Menschen dieser Stadt Handeln der Politik erwarten." Klaus-Dieter Salewski (SPD)

"Auch der letzte Gegner der Sozialen Marktwirtschaft wird erkennen, dass Handel nicht alles, ohne Handel aber alles nichts ist." Rainer Mencke (CDU) zur Bedeutung der lokalen Wirtschaft für Lüneburg

"Wir müssen auch über Effektivitätssteigerungen zur Verbesserung unserer Liquidität sprechen." Rainer Mencke (CDU) zu den Kostensteigerungen in der Verwaltung

"Wir brauchen auch ein Kindertobeland am Sande." Ulrich Blanck (Grüne) zu neuen Formen der Innenstadt

"Wir wollen den aktiven Systemwechsel." Ulrich Blanck (Grüne)

"Wir sind gegen den Haushalt, weil er alte Strukturen zementiert." Michèl Pauly (Linke) zu Investitionen in den Straßenbau

"Wir sollten Lüneburg zur Erlebnisstadt durch kostenlosen ÖPNV machen." Michèl Pauly (Linke)

"Lüneburgs Zukunft beginnt 2021, wenn ein neuer Rat und neuer Kopf im Rathaus gewählt wurden." Michèl Pauly (Linke)

"Bürger erwarten Entscheidungen und keine Endlosdebatten." Frank Soldan (FDP) kurz vor Ende seines 20-minütigen Vortrags

"Egal, welche Umstände herrschen, die Stadt schmeißt das Geld aus dem Fenster." Robin Gaberle (AfD) zur neuen Schuldenlast und der Nichtbereitschaft der Stadt, bei den freiwilligen Leistungen zu kürzen

"In dem Bereich zu sparen, macht die Gesellschaft kaputt." Antwort von Dr. Thomas Buller (CDU) auf Robin Gaberle

"Das, was wir ausgeben, müssen die Leute draußen mühsam erarbeiten." Dirk Neumann (AfD)

"Wenn ich Sie mit Ihrem Kind mal auf dem Rutschenturm erwische ..." Dr. Thomas Buller (CDU) zu Michèl Pauly, der sich gegen den Rutschenturm im Salü aussprach und das Geld besser bei der Volkshochschule aufgehoben sieht 

 

Weitere Ergebnisse aus der Ratssitzung

◼︎ Nachtragshaushalt 2020

Im Kern ging es hier um den Erwerb einer Fläche am Bilmer Berg, den die Stadtverwaltung für Gewerbeansiedlung nutzen möchte. Im Raum steht eine Summe von 14 Mllionen Euro, wozu 7 Millionen nachträglich in den Haushalt aufgenommen werden müssten. Dafür brauche es eine Zustimmung im Rat und durch die Kommunalaufsicht in Hannover, erläuterte Oberbürgermeister Ulrich Mädge. Dem Nachtragshaushalt wurde mehrheitlich zugestimmt.

"Wir werden dem nicht zustimmen, da wir darüber hier noch nicht gesprochen haben." Ulrich Blanck (Grüne)

"Totaler Schwachsinn, der Vertrag liegt doch schon längst vor. Wen wollen Sie hier für dumm verkaufen?" Robin Gaberle (AfD), der den Ausdruck "totaler Schwachsinn" wieder zurücknahm, um ihn anschließend erneut zu verwenden

"Man kann nicht nur von sozialer Gerechtigkeit reden, sondern muss auch mal dafür sorgen, dass Arbeitsplätze geschaffen werden." Oberbürgermeister Ulrich Mädge zu Ulrich Blanck

"Wenn wir heute nicht beschließen, verschwindet diese Fläche nicht und es entsteht auch kein Schwarzes Loch." Ulrich Blanck (Grüne) zu Oberbürgermeister Ulrich Mädge

"Dies kann die neue Salzquelle von Lüneburg werden." Rainer Mencke (CDU)

"Unsere Nachbargemeinden werden sich freuen, wenn wir diese Chancen nicht ergreifen." Rainer Mencke (CDU)

 

◼︎ Finanzvertrag

Gegen die Stimmen der Linken wurde dem neuen Finanzvertrag zwischen Stadt und Landkreis Lüneburg zugestimmt. Der Kreistag hatte dem Vertrag bereits einstimmig zugestimmt. Oberbürgermeister Ulrich Mädge stellte die Eckpunkte des Vertrags vor, die insgesamt eine deutliche finanzielle Entlastung der Stadt zur Folge haben, wofür künftig der Kreis aufkommen wird.

"Uns geht's besser als vorher." Rainer Mencke (CDU)

"Lob für den Oberbürgermeister. Es ist ein hohes Risiko für die Stadt abgewendet worden." Ulrich Blanck (Grüne)

"Da steckt nicht nur Arbeit drin, da steckt auch viel Gemeinsinn drin." Klaus-Dieter Salewski (SPD)

"Aus meiner Sicht eine Win-Win-Situation." Frank Soldan (FDP)

"Welches übernatürliche Ereignis ist da vor sich gegangen?" Wolf von Nordheim (Grüne) zu Oberbürgermeister Ulrich Mädge (SPD) und dessen Einigung mit Landrat Jens Böther (CDU)

"Die durch die Decke schießenden Kosten." Die Antwort von Oberbürgermeister Ulrich Mädge auf Wolf von Nordheim (Grüne)

"Hätte mir mehr Blitzer gewünscht." Michèl Pauly (Linke)

"Hier wird schon wieder Zeit vergeudet und nur gelobhudelt." Robin Gaberle (AfD) um 21.09 Uhr

 

◼︎ Weihnachtsbonus

Mit einem Volumen von 500.000 Euro will die Verwaltung Anreize für den Innenstadtbereich schaffen, um den lokalen Handel in der Corona-Zeit zu unterstützen. Dafür sollen Gutscheine an Lüneburger Bürger abgegeben werden, die diese in Lüneburger Geschäften einlösen können. Baumärkte, Lebensmittelgeschäfte, Drogerien, Apotheken und die Gastronomie sind ausgeschlossen. Pro 50 Euro Umsatz werden 10 Euro gutgeschrieben. Außerdem soll es ein Gutscheinsystem geben für Radfahrer, die die Innenstadt besuchen, die Nutzung des ÖPNV soll kostenlos sein, ebenso Parken in Parkhäusern der Lüneparken GmbH. Außerdem sollen Straßenmusiker und Kleinkünstler sowie Kultur- und Theaterangebote im Rathausgarten gefördert werden. Zudem soll es einen eingeschränkten Weihnachtsmarkt mit Insellösungen geben. Dem Paket, das von der Lüneburg Marketing GmbH entwickelt wurde, wurde mehrheitlich zugestimmt.

"Wir wollen einen psychologischen Impuls für die Innenstadt setzen und zeigen, dass sie lebt." Oberbürgermeister Ulrich Mädge

"Es kann nicht richtig sein, wenn auf der einen Seite die Corona-Bedingungen verschärft werden und wir das Signal senden: Du kannst ruhig in die Innenstadt kommen." Ulrich Blanck (Grüne)

"Corona-Risiken entstehen nicht im Außenbereich, sondern im Privaten." Die Antwort von Dr. Thomas Buller (CDU) auf Ulrich Blanck (Grüne)

"Mir fehlt das Angehen der strukturellen Ebene." Christoph Podstawa (Linke)

"Es ist bereits Fünf nach Zwölf! Es wird ganz böse enden, wenn es so weitergeht. Wir müssen jetzt handeln!" Heiko Meyer (parteilos)

"Hätte nicht gedacht, dass wir darüber heute noch diskutieren." Hiltrud Lotze (SPD)

"Hier zeigen sich die Prioritäten der Linken und Grünen: Für Kokolores wie einen Gleichstellungsbeauftragten ist Geld da, aber nicht für Arbeitsplätze und Wirtschaft." Robin Gaberle (AfD)

 

◼︎ Weltkulturerbe-Stadt

Erneut will die Stadtverwaltung einen Anlauf wagen, von der UNESCO den Status als Weltkulturerbe-Stadt zu erhalten. Es ist bereits der dritte Versuch. Dieses Mal will sich die Stadt mit dem Motto "Bildung und Buchdruck" bewerben. Lediglich die AfD lehnte die Vorlage ab.

"Bei dem dünnen Thema sind die Erfolgsaussichten gering und 200.000 Euro Bewerbungskosten zu hoch. Das lehne ich ab." Dirk Neumann (AfD) (Dieses Zitat wurde zuvor fälschlicherweise Robin Gaberle (AfD) zugeordnet; wir bitten den Fehler zu entschuldigen). 

"Es geht gar nicht um 200.000 Euro, sondern nur um die Anmeldung, und die ist kostenlos." Birte Schellmann (FDP)