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"Ich setze alles auf eine Karte"

Was machen die Kandidaten eigentlich, wenn sie nicht gewinnen? Überlegungen zur OB-Wahl in Lüneburg

Es bleibt spannend, wer nach der OB-Wahl am 12. September Chef im Lüneburger Rathaus wird. Foto: LGheuteLüneburg, 09.07.2021 - Sechs treten an, doch nur eine oder einer kann es werden: Oberbürgermeister von Lüneburg. Der Wahlkampf ist bereits in vollem Gange, die ersten Plakate sind aufgehängt, spitze Bemerkungen über die Mitbewerber sind hinter den Kulissen auch schon zu vernehmen. Klar ist: So ein Wahlkampf ist kein Zuckerschlecken. Spätestens am 26. September nach der voraussichtlich stattfindenden Stichwahl aber ist für fünf der sechs Kandidaten Schluss. Beruflich geht es aber auch für diese in gewohnter Weise weiter. Mit einer Ausnahme.

 

 

Claudia Kalisch. Foto: Grüne"Ich setze alles auf eine Karte", sagt Claudia Kalisch, wenn man sie fragt, was sie denn macht, wenn sie nicht Oberbürgermeisterin wird. Denn die Kandidatin der Grünen hat bereits vor geraumer Zeit angekündigt, nicht erneut als Samtgemeindebürgermeisterin für Amelinghausen antreten zu wollen – sie also ohne konkrete berufliche Zukunft lebt. Dass sie damit ins volle Risiko steigt, sei ihr bewusst, zumal sie selbst sagt, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt völlig offen sei, wer letztlich das Rennen machen wird.

Ganz ohne Plan B sei sie dennoch nicht unterwegs. Sollte es nicht wie erhofft klappen, will sie etwas im Bereich "Change-Management" machen, das sei ihr "Steckenpferd". Auch habe sie neue Geschäftsideen. Über die will sie aber jetzt noch nicht sprechen. Versprechen aber will sie, nach Lüneburg zu ziehen, sollte sie die OB-Wahl für sich entscheiden. Gleiches hatte sie aber auch den Amelinghausenern versprochen, als sie dort kandidierte. Daraus wurde nichts, aus familiären Gründen, wie die Reppenstedterin sagt.


Andreas Meihsies. Foto: LGheuteAndreas Meihsies muss sich um seine berufliche Zukunft keine Gedanken machen. Als verbeamteter Postzusteller ist sein Auskommen auch bei einem Scheitern bei der OB-Wahl gesichert. Dass er die Wahl gewinnt, davon geht der 58-Jährige allerdings nicht aus. Dafür sind seine Chancen als parteiloser Kandidat wohl zu gering. Zusammen mit seiner Lebensgefährtin geht's deshalb auch schon gleich nach der Wahl am 12. September in den Urlaub.

Als Zünglein an der Waage sieht sich der frühere Fraktions-Vorsitzende der Grünen, mit denen er im Clinch auseinandergegangen ist, gleichwohl. Schließlich kann er bei einer Stichwahl seine Wähler ermuntern, Kandidat A oder B zu wählen – "vorausgesetzt, sie nehmen Pez mit ins Boot". Denn den Lüneburger Verkehrsexperten ins Rathaus zu bringen, ist Meihsies fast wichtiger, als selbst auf dem Chefsessel Platz zu nehmen. "Auf dem Gebiet muss endlich was passieren", sagt Meihsies mit einem Seitenhieb auf die Grünen, denen er unterstellt, dort viel zu lange untätig gewesen zu sein.

Gänzlich ohne Politik will Meihsies aber auch nicht mehr leben. Er hat sich deshalb entschieden, auch für den Stadtrat zu kandidieren. Antreten wird er auf dem Kreideberg.


Heiko Meyer. Foto: Heiko MeyerDas wiederum hat Heiko Meyer nicht vor. Er will sich voll auf die OB-Wahl konzentrieren und bewertet seine Chancen, zu gewinnen, als "groß". Für ihn spreche, dass er wie auch Meihsies als Einzelkämpfer und damit ohne parteipolitischen Ballast antritt. "Der Chef im Rathaus sollte neutral sein", sagt Meyer, und es fällt nicht schwer, Kritik an dem noch amtierenden Oberbürgermeister Ulrich Mädge (SPD) dabei herauszuhören.

Dass Meyer nicht erneut für den Stadtrat kandidieren will, begründet er mit den "schlechten Rahmenbedingungen" für Einzelkämpfer in Niedersachsens Rathäusern. Die rechtliche Schlechterstellung gegenüber Fraktionsmitgliedern, vor allem der Entzug des Stimmrechts in den Fachausschüssen, hält er für antiquiert. "Unser Kommunalverfassungsgesetz ist nicht darauf ausgelegt", kritisiert Meyer. "Wäre es anders, würde ich es machen."

So aber wird er seine Kraft für das Erreichen seines ersten Etappenziels einsetzen: "Ich will in die Stichwahl kommen." Sollte es letztlich doch nichts werden, kann er immer noch als Selbstständiger in der Gastronomie weitermachen.


Michèl Pauly. Foto: LGheuteMindestens die Stichwahl erreichen, das hat sich auch Michèl Pauly vorgenommen, der für die Linken bei der OB-Wahl antritt. Dass er meint, es tatsächlich auch schaffen zu können, hat er bereits im LGheute-Interview vorgerechnet. "Ich spiele auf Sieg, nicht auf Platz", hat der Fraktionschef der Linken im Lüneburger Stadtrat gesagt, auch wenn er die Chance dafür als "klein" bezeichnete.

Fraktionschef dürfte er bei einer Wahlniederlage vermutlich auch wieder werden, denn Pauly hat sich bereits für die Stadtratswahl von seiner Partei aufstellen lassen. Und sollte er trotz seiner Rechenkünste doch nicht Oberbürgermeister werden, kann er als Referent für Haushalt und Finanzen bei den Hamburger Linken weiter unter Beweis stellen, dass er mit Zahlen doch gut umgehen kann.

 


Monika Scherf. Foto: Monika ScherfMonika Scherf wird sich vermutlich auch gute Chancen bei der OB-Wahl ausrechnen. Die Lüneburgerin und CDU-Kandidatin ist in der Stadt keine Unbekannte: Viele Jahre war sie Kreisrätin des Landkreises Lüneburg und hat sich in dieser Zeit auch über Parteigrenzen hinweg Respekt erworben. Bei der Landratswahl 2016 hatte sie ihren Hut in den Ring geworfen, unterlag aber Manfred Nahrstedt (SPD), der wider Erwarten doch noch einmal antreten durfte und die Wahl für sich entschied.

Weil Nahrstedt Scherf die Kandidatur übel genommen haben soll, wechselte sie als Kreisrätin in den Landkreis Harburg. 2018 dann trat sie die Stelle der Landesbeauftragten in Lüneburg für Regionalentwicklung, Städtebauförderung, Strukturförderung im ländlichen Raum, Flurbereinigung und Landmanagement an. Der Job dürfte ihr auch bei einem Scheitern bei der OB-Wahl sicher sein. Gerüchte, wonach Scherf die Kandidatur antrat, weil man ihr einen Posten in Hannover angeboten haben soll, weist die CDU-Politikerin zurück: "Da ist nichts dran." Wer sie kennt, nimmt es ihr ab.


Pia Steinrücke. Foto: LGheuteDas Rathaus in- und auswändig kennt bereits Pia Steinrücke, die für die SPD antritt. 2014 kam die Bocholterin nach Lüneburg und eroberte als Sozial- und Bildungsdezernentin schnell eine der vier Führungspositionen unter Mädge. Dass sie als mögliche Oberbürgermeisterin dessen von politisch Andersdenkenden oft kritisierten Führungsstil fortsetzen werde, gehört zu den Standardverlautbarungen, die man aus den Wahlkampfzentralen ihrer Mitbewerberinnen wie ihrer Mitbewerber hört.

Was daran allerdings stimmt, steht auf einem anderen Blatt. Belastbare Aussagen hat man dazu jedenfalls noch nicht vernommen. Überdies ist es ein Leichtes, jemandem Nibelungentreue zu seinem Vorgesetzten vorzuwerfen. Wer in einem Abhängigkeitsverhältnis arbeitet, noch dazu an so exponierter Stelle, weiß, dass zu viel Eigenständigkeit unter Umständen nicht gut ankommt.

Wie auch immer: Auch Pia Steinrücke hat die OB-Kandidatur angetreten, ohne damit ein allzu großes Risiko einzugehen, schließlich ist sie als gewählte Stadträtin beruflich abgesichert. Spannend kann es gleichwohl werden, sollte sie die Wahl nicht gewinnen. Dann nämlich muss Mädges Nachfolger oder Nachfolgerin entscheiden, ob er oder sie mit Steinrücke weiter zusammenarbeiten will. Oder anders ausgedrückt: Ob er oder sie meint, ob Steinrücke auch die erforderliche Loyalität für den neuen OB aufbringt. Es wäre interessant zu erfahren, was diejenigen dann sagen, die ihr jetzt zu viel dieser Eigenschaft zum Vorwurf machen.