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Michèl Pauly verlässt die Linke

Lüneburger Ratsherr kritisiert Haltung der Linken zum Krieg in der Ukraine 

Michèl Pauly. Foto: LGheuteLüneburg. 02.03.2022 - Michèl Pauly, langjähriges Mitglied der Linken und Ratsherr der Stadt Lüneburg, hat seiner Partei den Rücken gekehrt. Wie er am Abend erklärte, habe er bereits gestern gegenüber dem Kreisvorstand seinen Austritt aus der Partei erklärt. Er habe dies nach 15-jähriger Parteimitgliedschaft "denkbar schweren Herzens" getan. Seinen Schritt begründete er mit der umstrittenen Haltung der Linken zum Überfall Russlands auf die Ukraine. Sein Mandat will Pauly nicht behalten.

In einer E-Mail, die Pauly am Abend den Redaktionen zuleitete, begründet er ausführlich seine Beweggründe, die ihn veranlasst haben, die Linken zu verlassen. Im Kern wirft er seiner früheren Partei "relativierende Äußerungen zum Angriffskrieg auf die Ukraine" vor sowie "Hemmungen", den Angriffskrieg ohne "legitimierenden Annex" – den Verweis auf eine angebliche Mitverantwortung der Nato – zu verurteilen. Dass die Linken selbst in dieser Situation des Angriffskrieges auf die Ukraine ihre "eingeübten Glaubenssätze" – böse Nato, gutes Russland – nicht über Bord warfen, will Pauly der Partei nicht verzeihen. Hier der Original-Wortlaut seiner lesenswerten Erklärung zum Austritt:  

Ich, Michèl Pauly, Ratsherr der Hansestadt Lüneburg, habe am gestrigen Dienstag, 1. März 2022, gegenüber dem Kreisvorstand meinen Austritt aus der Partei DIE LINKE erklärt. Ich tat dies nach 15-jähriger Parteimitgliedschaft denkbar schweren Herzens, da mein ganzes Leben mit dieser politischen Kraft verwoben war und ist.  

Letztendlich waren es relativierende Äußerungen zum Angriffskrieg auf die Ukraine, die mich dazu veranlasst haben. Während jede militärische Intervention, jeder Krieg, vom Kosovokrieg, über den Afghanistaneinsatz bis zum Irakkrieg, ohne "Wenns" und ohne "Abers" kategorisch abgelehnt und politisch bekämpft wurde, musste ich erschrocken feststellen, dass die Sachlage offenbar bei diesem von Putin und seiner Administration begonnenen Angriffskrieg anders bewertet wurde. Obwohl dieser Angriffskrieg begründet wurde mit vielen Lügen und überdies mit offen ausgesprochenen, territorialen Forderungen gemäß der Ausdehnung Russlands zur Zarenzeit. Kaum eine Erklärung aus der Mitte meiner Partei kam ohne die Zuweisung einer "Mitverantwortung der NATO" aus. In Extremfällen, ich nenne Diether Dehm (vormals MdB und nds. Landesvorsitzender), Andrej Hunko (MdB) oder Alexander Neu (ehemals MdB), wurde teilweise das gesamte Narrativ Putins übernommen. Leider musste ich feststellen, dass in dieser Frage auch mein – jetzt ehemaliger – Kreisverband Lüneburg gehemmt war und ist, den Angriffskrieg ohne legitimierenden Annex zu verurteilen. So kam es zu keiner offiziellen Teilnahme der selbsternannten 'Friedenspartei' an der Demonstration mehrerer Parteien am 27. Februar, unter anderem mit dem Verweis, dass sonst Parteien neben einem stünden, die für Rüstung, für die NATO oder für Waffenexporte seien. Doch genau darum geht es im Ukrainekrieg nicht. 

Bei mir reifte die Erkenntnis: Die Ukraine wurde nicht angegriffen, weil sie in der NATO war. Die Ukraine wurde angegriffen, weil sie es genau nicht war. Eingeübte Glaubenssätze der Partei DIE LINKE, die die Welt in "böse imperialistische NATO" und ein Putin-Russland, das diesem nur widerstreite, einteilten, hätten den Angriff auf die Ukraine nicht überleben dürfen. Und doch taten sie es. Ehrlicherweise hätte man das innerhalb der Linken auch schon vorher mal revidieren können – einige versuchten es – vergeblich. Denn zum einen war Putin je ein Lupenreiner Demokrat, je ein Friedensengel, noch war er und sein autokratisches Regime jemals für Linke in irgendeiner Form erträglich. Außerdem sollte eine Partei, die sich angeblich dem Völkerrecht verschrieben hat, auch das Recht von Staaten bedingungslos anerkennen. Dazu gehört eine innenpolitische Entwicklungsoption, die einem nicht passen muss. Dazu gehört das Recht eines Staates, sich in wirtschaftlicher, politischer oder militärischer Hinsicht mit anderen Staaten zusammenzuschließen, ohne dass daraus auch nur irgendwie eine Legitimation für einen Angriff gegen diesen Staat konstruiert wird. 

Die Zeichnung der NATO als ominöses Weltherrschaftsinstrument, als eine Art geheim tagender Orden herrschaftssüchtiger Eliten, passt nicht zu dem, was wir heute erleben. Wir erleben, dass lebendige Demokratien wie Schweden oder Finnland in freier und demokratischer Willensbildung, ja sogar getrieben von einer Volksinitiative, über einen Beitritt diskutieren. Weil sie erleben, sehen, dass Putin offen territoriale Forderungen aufstellt, andere Staaten bedroht und die Ukraine sogar in ihrer gesamten Fläche angriff. Ein Land, dessen Staatsgebiet von allen Staaten der Erde in Gänze anerkannt wurde und dessen territoriale Integrität von niemandem angezweifelt wurde – bis zur Annektierung der Krim. Es sind diese Länder, die in freier Entscheidung um nicht weniger ersuchen als Schutz. Schutz vor dem Angriff einer großen Militärmacht, die das Völkerrecht mit Füßen tritt und dessen innere Verfasstheit zutiefst antidemokratisch ist. 

Das verneint in keiner Weise meine Kritik, an der ich festhalte, an exterritorialen Einsätzen und Kriegen, die NATO-Staaten in der Vergangenheit geführt haben, die ihrerseits das Völkerrecht verletzten. Aber schon der Vergleich von z.B. dem Kosovo-Krieg mit diesem Krieg ist und bleibt schief. Und es hat auch keinen Platz in der aktuellen Debatte, denn es steht in keinem ursächlichen Zusammenhang zum Angriff auf die Ukraine. Diesen ursächlichen Zusammenhang zu konstruieren ist Wasser auf die Mühlen von Putins Propaganda. Dies geschieht nun jedenfalls nicht mehr in meinem Namen. Auch wenn ich als womöglich wenig bedeutender Kommunalpolitiker zu dem oben genannten Thema wenig beitragen kann, so trägt doch mein kommunalpolitisches Engagement – jedenfalls könnte es so sein – ein wenig zur Stärkung und Etablierung der Linken insgesamt bei. Ich könnte es nicht mehr ertragen, wenn durch mein Zutun jene politischen Kräfte gestärkt würden, die in wortklauberischer Art und Weise im Handeln der NATO zwar keinen "Grund", "aber Anlass" für den Krieg sehen. Kräfte, die damit die einheitliche Verurteilung dieses Krieges ohne Wenn und Aber unterlaufen und dies auch noch als "Friedensposition" verkaufen. 

Ich wünsche mir eine starke Linke Kraft, eine moderne Linke Partei, die sich an sozialen Grundsätzen, am dem Prinzip des Völkerrechts und an der sozialen wie ökologischen Nachhaltigkeit orientiert. Ich wünsche mir eine Linke Partei, die sich nicht mehr besonders jenen Staaten verbunden fühlt, die sich schon zu Sowjetzeiten an den wesentlichen Ideen des Sozialismus' versündigt haben. 

Mein Ratsmandat habe ich über die Liste der Partei DIE LINKE gewonnen. Ich sehe es daher als Willen der WählerInnen und Wähler, dass auch jemand der von der Partei unterstützt wird und der die politische Grundtendenz der Partei teilt, das Mandat innehat. Ich habe daher dem Kreisverband Lüneburg der Linken angeboten, mein Mandat niederzulegen. Die Antwort erwarte ich in den kommenden Wochen. 

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