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Zeitenwende

23.10.2016 - Es ist kein Paukenschlag, es ist ein Beben, das sich an diesem Wochenende mit einem Riesenknall wie bei einem tief im Innern immer mehr unter Druck geratenen Vulkan mit aller Macht entladen hat. Der Druck, den Oberbürgermeister Ulrich Mädge in seinen nicht enden wollenden Amtsjahren unter den Ratsmitgliedern offenbar erzeugt haben muss, hat nun ihn selbst mit einer Heftigkeit kalt erwischt, wie es der machtgewohnte Politiker bislang nie gewohnt war – von seiner eigenen Partei nicht, aber auch vom politischen Gegner nicht. Viele Jahre wurde das System Mädge mehr ertragen als akzeptiert, nun haben er und seine SPD die Quittung bekommen. Für Lüneburg könnte es der Beginn einer neuen Zeitrechnung werden.

Denn die Ankündigung von CDU, Grünen und FDP, als Minderheits-Gruppe anzutreten, birgt nicht nur neue Optionen, sie zeugt auch von einem Politikverständnis, das sich an der Sache und nicht mehr an festbetonierten Mehrheitsblöcken orientieren will. Mehr Offenheit, mehr Transparenz, mehr Dialog und Kommunikation, weniger selbstherrliche Beschlüsse werden von der "Jamaika"-Gruppe versprochen. Dass dieser Wechsel nicht zuletzt mit der Person des Oberbürgermeisters und dessen vielfach beklagten verbalen Entgleisungen gegenüber Ratsmitgliedern begründet wird, ist menschlich nachvollziehbar, in der Sache aber letztlich unerheblich.

Worauf es vielmehr ankommt, ist die Frage, ob dieser Rat künftig wieder als das wahrgenommen wird, wofür die Politiker in den Wochen vor der Kommunalwahl angetreten sind: Zum Wohle der Stadt die Projekte umzusetzen, für die sie im Rat um eine Mehrheit suchen müssen. Dafür muss man nicht nur deutlich mehr Überzeugungsarbeit leisten, sondern es erfordert Mut, weil das Risiko des Scheiterns deutlich größer geworden ist. Doch genau das ist es, was gerade junge Menschen von Politikern erwarten: dass sie für ihre Ziele und Themen einstehen und dafür kämpfen.

Auf Lüneburg dürften daher spannende Zeiten zukommen. Ob Oberbürgermeister Ulrich Mädge sich dem auf Dauer stellen will, wird sich zeigen. Er hat viel für die Stadt getan, seine Amtszeit endet in fünf Jahren, dann ist definitiv Schluss. Ob er unter der neuen Konstellation durchhalten will, liegt in seiner Entscheidung. Eine nach ihm benannte Straße dürfte ihm so oder so sicher sein. Entscheidend für den Fortgang der Entwicklung dieser Stadt aber wird er vermutlich nicht mehr sein, dafür wurde er jetzt mit einem beeindruckenden politischen Schachzug matt gesetzt. Denn mit der neuen Mehrheitsgruppe werden auch die Karten in den Ausschüssen und Aufsichtsräten der Stadt neu gemischt, in denen oft nur einer bislang ganz oben stand: Ulrich Mädge.  

Interessanter Nebeneffekt: Die Bildung einer Minderheits-Gruppe macht nur deswegen Sinn, weil die SPD wie auch die Linke bereits zuvor angekündigt hatten, nicht mit der AfD ins Bett gehen zu wollen. Damit sorgt nun ausgerechnet der Einzug der AfD in den Rat der Stadt dafür, dass die etablierten Parteien "mehr Demokratie wagen" wollen. Dafür sollte man den Newcomern eigentlich dankbar sein.

Ein Kommentar von Ulf Stüwe
zum Beitrag "Politik-Beben in Lüneburg"