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Wo der Schuh drückt

Der kritische Blick aufs eigene Wahlprogramm - Bundestagskandidaten beziehen Position 

Lüneburg, 05.09.2013 - Ob etabliert oder exotisch, mit ihren Wahlprogrammen zur Bundestagswahl wollen die Parteien möglichst viele Wähler erreichen. Die Kandidaten müssen dann von Woche zu Woche in Veranstaltungen und auf den Straßen und Plätzen Überzeugungsarbeit für die Ziele ihrer Partei leisten. Aber stehen sie auch wirklich immer hundertprozentig hinter all dem, was die Programme hergeben? In der zweiten 100-Wörter-Fragerunde haben wir bei den Kandidaten mal nachgefragt, ob es nicht auch für sie Themen gab, die sie sich in dem Wahlprogramm ihrer Partei lieber gar nicht oder anders gewünscht hätten.


LGheute
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Die Wahlprogramme der Parteien sind oft sehr umfassend. Im Vorfeld dazu gab es zu einzelnen Punkten selbst innerhalb der Parteien nicht selten kontroverse Diskussionen. Bei welchem Thema im Wahlprogramm Ihrer Partei haben Sie persönlich die größten Bauchschmerzen?

 

Eckhard Pols, CDU: "Ich bin mit unserem Wahlprogramm zufrieden. Sicher könnte einiges konkreter formuliert sein. Wahlprogramme sind nie inhaltlich komplett. Sie geben den groben Rahmen. Der spätere Koalitionsvertrag beschreibt die Details der künftigen Politik der Regierungspartner." 

 

 

 

 

Hiltrud Lotze, SPD: "Ich bin mit dem Regierungsprogramm meiner Partei sehr zufrieden und habe deshalb keine Bauchschmerzen. Das Programm wurde mit Bürgerinnen und Bürgern gemeinsam entwickelt und gibt die richtigen Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit. Allerdings hätte ich mir im Kapitel zur Energiewende eine deutlichere Abgrenzung  zum Einsatz von Kohle gewünscht. Hier heißt es: 'Wir setzen aber ebenso (noch) auf konventionelle Energieerzeuger, wie Kohle- und Gaskraftwerke, als Brückentechnologie, solange wir sie brauchen.' Kohle ist der fossile Brennstoff mit dem höchsten CO2-Ausstoß und treibt damit maßgeblich den Klimawandel an. Statt weiterhin auf Kohle zu setzen, brauchen wir ein 'Kohle-Ausstiegsgesetz'. Dafür werde ich mich einsetzen."

 

Dr. Tobias Debuch, FDP: "In der FDP gab es - übrigens als einziger Partei - einen Mitglieder-Entscheid zur Euro-Politik. Die Frage, welche Regeln und Mechanismen wir für die Stabilisierung des Euro-Raums benötigen, wurde den Parteimitgliedern zur Beantwortung vorgelegt. Die gemeinsame Position der Liberalen nach diesem Entscheid ist, dass es keine Haftungsunion geben darf. Handeln und Haften gehört für uns auch auf europäischer Ebene zusammen. Ich hätte mir gewünscht, dass wir dies noch deutlicher im Wahlprogramm der FDP verankert hätten, indem wir uns unter anderem eindeutiger für die Möglichkeit einer geordneten Insolvenz für Staaten positionierten."

 

 

Julia Verlinden, Grüne: "Ja, es gab bei den Grünen einen intensiven Programmprozess, der auch Spaß gemacht hat. Sehr viele Positionen aus dem grünen Wahlprogramm decken sich mit meinen! Natürlich gibt es Themen, die mir als Energie-Expertin wichtiger sind als andere. Ich hatte auf unserem Parteitag den Antrag eingebracht, dass das Thema 'Energieeffizienz im Gebäudebereich' noch prägnanter im Kapitel zur Energiepolitik auftauchen soll. Da hatte ich ziemlich hohe Erwartungen reingesteckt. Weil sie das Wahlprogramm - nun 320 Seiten - nicht noch dicker werden lassen wollte, ist die Mehrheit diesem Vorschlag leider nicht gefolgt. Inzwischen sind meine 'Bauchschmerzen' weg, weil es ja kein grundsätzlicher inhaltlicher Dissens war."

 

Johanna Voß, Die Linke: "Ich bin mit dem Wahlprogramm der Linken insgesamt sehr zufrieden. Wünschen würde ich mir, dass dessen ökologische Aspekte stärker nach außen kommuniziert werden. Denn unsere Umweltpolitik ist inzwischen grüner als die der Grünen. Wir fordern sehr deutlich, unverzüglich und unumkehrbar aus der Atomenergie auszusteigen und das im Grundgesetz zu verankern, wir wollen Fracking flächendeckend verbieten und eine solidarische und sozial-ökologische Wirtschaftsweise fördern. Es ist schade, dass das in der öffentlichen Wahrnehmung zu wenig ankommt, denn wir haben diesbezüglich einiges zu bieten. Außerdem hätte ich mir die Forderung nach einem Bedingungslosen Grundeinkommen im Wahlprogramm gewünscht. Doch dazu besteht innerparteilich noch Diskussionsbedarf."

 

Olaf Forberger, Piraten: "Bauchschmerzen habe ich in unserem Wahlprogramm bei der Aussage zum Thema Pyrotechnik bei Sportveranstaltungen. Dort heißt es: Die Piratenpartei setzt sich dafür ein, den kontrollierten Einsatz von Pyrotechnik durch Fans, dort wo es die lokalen Gegebenheiten zulassen, zu ermöglichen. Das Abfackeln von bengalischen Feuern innerhalb von Menschenmassen halte ich aber nicht unbedingt für ein Grundrecht. Auch wenn ich mir durchaus spezielle Bereiche in Stadien vorstellen kann, in denen die Fußballfans ungestört fackeln können."

 

 

Michael Recha, AfD: "Wir wurden anfangs als populistische Ein-Thema-Partei verspottet. Zu Unrecht. Als neue Partei haben wir Leitlinien für 10 wichtige Aufgabenfelder, wo Politik wieder vernünftigen Grundsätzen folgen muss - darin sind sich 16.000 Mitglieder einig. Unser Kernthema ist die Kernaufgabe für Deutschland und Europa: Banken- und Eurorettung mittels Gesetzesbrüchen und Schuldenüberlastung der Bürger zu beenden! Alle Etablierten haben die Misere beschlossen - erst schwiegen, jetzt streiten sie, wer Schuld war. Bauchschmerzen bereitet, dass kein Umdenken erkennbar ist!  Wir sprechen schwierige Themen offen an, um gesellschaftliche Probleme zu lösen. An Bildung und Integration, Infrastrukturentwicklung und Ressourcenschutz will ich persönlich mit der Alternative arbeiten."

 

Sonni Tonne, PBC: "Meine Partei orientiert sich am Grundgesetz. In der Präambel wird ausgesagt, dass unsere Politik auch vor Gott verantwortet werden soll. Aus dem geschichtlichen Kontext ist damit der Gott der Christen gemeint. Dieses Fundament wollen wir erneut ins Bewußtsein rufen. Als Christ stimme ich damit überein. Wie ein Großteil der Parteien tritt die PBC für Steuergerechtigkeit ein: wie dies nun im Detail verwirklicht wird, entzieht sich meinem derzeitigen Fachwissen."

 

 

 

Die vorangegangenen 100-Wörter-Themen:

 

Die Reihenfolge der Kandidaten entspricht ihrer Reihenfolge auf dem Stimmzettel zur Bundestagswahl 2013.

Erläuterung zu den Kurz-Bezeichnungen der Parteien: 
CDU: Christlich Demokratische Union Deutschlands
SPD: Sozialdemokratische Partei Deutschlands
FDP: Freie Demokratische Partei
Grüne: Bündnis 90/Die Grünen
Die Linke: Die Linke. Niedersachsen
Piraten: Piratenpartei Niedersachsen
AfD: Alternative für Deutschland
PBC: Partei Bibeltreuer Christen

 

Weitere Beiträge und Berichte zur Bundestagswahl 2013 gibt es hier.