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Sollte das witzig sein?

Eine Bemerkung von Lüneburgs Oberbürgermeisterin schlägt Wellen

Im Ton vergriffen? Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch erntet mit ihrer Bemerkung deutliche Kritik. Foto: LGheuteLüneburg, 31.10.2022 - Wenn es darum geht, Sprechverbote durchzusetzen, sind die Grünen meist ganz vorn. Wie erfolgreich sie dabei sind, zeigt, dass das etwa Wort "Neger" im allgemeinen deutschen Sprachgebrauch inzwischen hoch geächtet ist. Das Ziel: Menschen durch Sprache nicht diskriminieren. Ausgerechnet Lüneburgs grüne Oberbürgermeisterin sorgt nun mit einem Zitat über Behinderte für Kopfschütteln bis Fassungslosigkeit. 

Es sollte wohl witzig klingen, doch bei vielen kam der Spruch "Keine Arme, keine Kekse" nicht gut an, den Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch in ihrem Interview mit der "Landeszeitung" an diesem Wochenende los ließ. Dort ging es unter anderem um fehlende personelle Kapazitäten, die durch Corona und Ukraine-Krieg auf die Stadtverwaltung zukommen. Original-Wortlaut: "Und wenn keiner da ist, der es macht, ist keiner da, der es macht. Oder wie es im Film 'Ziemlich beste Freunde heißt': Keine Arme, keine Kekse."

Das Problem: Der Satz ist auf eine Situation in dem französischen Film gemünzt, in der ein behindertes Kind seine Mutter um Schokolade bittet, dort aber wegen seiner Behinderung nicht herankommt. 

Warum Kalisch sich diesen Satz zu eigen gemacht hat, ist wenig nachvollziehbar. Zumal es in dem Interview nicht um das Problem Behinderter geht, deren Lage mit dieser Überzeichnung verdeutlicht werden sollte, sondern um die Nöte der Lüneburger Verwaltung. 

Bei den Fraktionen im Lüneburger Stadtrat hat dies unterschiedliche Reaktionen ausgelöst: Von vielsagendem Schweigen bei den Grünen bis zu fassungslosem Kopfschütteln seitens der FDP. Hier die Reaktionen:

Frank Soldan (FDP) findet deutliche Worte: "Mit mehr als Kopfschütteln und Fassungslosigkeit kann ich auf diese Aussage nicht antworten. Als Filmzitat ist es falsch, und ansonsten wurde es als geradezu menschenverachtender schlechter Witz genutzt. Eine Entschuldigung macht diesen Fehler kaum wieder gut", sagt Frank Soldan, FDP-Fraktionsvorsitzender. 

Andrea Schröder-Ehlers (SPD) antwortet kryptisch: "Ich mag den Film und die angesprochene Szene hat eine sehr herzliche Komik. Aber wer ist hier in Lüneburg in der Bewegung eingeschränkt und wer der Pfleger?"

Vivienne Widawski (Gruppe Die Partei/Die Linke) sagt: "Dass Frau Kalisch sich diesem Spruch bedient, der einen ableistischen Vergleich beinhaltet, ist nicht in Ordnung. Sprache schafft Wirklichkeit, und in diesem Fall setzt sie vergebliche Stellenbesetzung in der Verwaltung mit behinderten Menschen gleich. Das ist nicht in Ordnung und zeigt auf, wie normalisiert ableistische Sprache in unserem Alltag ist. Trotzdem darf in der Diskussion nicht vergessen werden, dass das Problem der unbesetzten Stellen inhaltlich relevant ist und Frau Kalisch damit einen wichtigen Punkt anspricht. Ich gehe nicht davon aus, dass Frau Kalisch diesen Vergleich in dem Wissen, dass er ableistisch ist, genutzt hat, sondern dass das aus Unwissenheit passiert ist. Die diskriminierende Wirkung wird aber nicht durch Unwissenheit aufgehoben. Daher hoffen wir als Gruppe, dass Frau Kalisch sich für den Vergleich entschuldigt und dass wir alle daraus lernen, Diskriminierung in der Sprache bewusst zu reflektieren. Denn um ableistische Sprache zu vermeiden, müssen wir uns alle noch weiter informieren und offen sein, aus Fehlern zu lernen."
Anmerkung der Redaktion: Zum Thema "Ableismus" heißt es auf Wikipedia: Der Begriff Ableismus bezeichnet die Beurteilung von Menschen anhand ihrer Fähigkeiten, was als behindertenfeindlich angesehen wird. 

Robin Gaberle (AfD) geht auf die Bemerkung selbst nicht ein – "das ist mir zu billig" –, er fokussiert stattdessen auf die zusätzlichen Stellen, die von der Oberbürgermeisterin eingefordert werden: "Rhetorisch ein netter Versuch von Frau Kalisch, wennn Sie behauptet, ihr Stellenplan sei massiv gekürzt worden. Ich meine, wenn man so viele neue Stellen schaffen möchte, ohne, dass diese substanziell begründet sind, und man immer noch 2/3 dieser 70 Stellen genehmigt bekommt, kann man sehr gut herumschwafeln, man hätte ja massive Einschnitte gemacht. Und sie kommt deshalb damit durch, weil die stimmmächtigen Fraktionen in diesem Rat nur Helfershelfer sind."

Von der CDU war kein Statement zu bekommen, auch nicht von den Grünen. Bei Letzteren waren sowohl der Fraktionsvorsitzende Ulrich Blanck, Ratsvorsitzende Jule Grunau, Landtags-Neuling Pascal Mennen, Kreissprecherin Sophie Bethune und die Sprecherin des Lüneburger Ortsverbands Anna Schurau angeschrieben worden.