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"Und Sie wollen, dass wir jetzt in Betonsteine für Radwege investieren?"

Frank Soldan (FDP) gibt aufschlussreiche Antwort auf eine Bürgerfrage zum Thema Hindenburgstraße

Immer mit geschärftem Blick: Frank Soldan, Vorsitzender der FDP-StadtratsfraktionLüneburg, 10.12.2022 - Die kontrovers geführte Diskussion um die Verlegung des Radwegs in der Hindenburgstraße hat in der jüngsten Ratssitzung auch zu einer Bürgeranfrage geführt. Eine Lüneburgerin wollte wissen, wie die FDP, die sich gegen die Verlegung ausspricht, zum Nationalen Radverkehrsplan 3.0 steht. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Frank Soldan nutzte die Gelegenheit für eine offenbar notwendige Erkenntniserweiterung. Angesichts immens hoher Schulden müsse die Stadt Prioritäten setzen. Hier seine Antwort.

Die Frage der Lüneburgerin: "Der im vergangenen Jahr in Kraft getretene Nationale Radverkehrswegeplan 3.0 enthält die Leitmaximen 'lückenloser Radverkehr, Deutschland als Fahrrad-Pendlerland, Vision Zero sowie Governance für einen starken Radverkehr'. Ich frage die FDP-Fraktion: Welche dieser Planungsgrundsätze aus dem Bundesverkehrsminsiterium gelten Ihrer Meinung nach in Lüneburg nicht für die Radverkehsentwicklung?

Frank Soldan in der Ratssitzung am 8. Dezember 2022:

Vielen Dank für die Frage, die es mir ermöglicht, Ihren fahrrad-zentrierten Blick hin auf die Realität zu lenken.

Zunächst folgendes: Wir stellen keinen dieser Leitsätze in Frage. Sie gelten uneingeschränkt auch für Lüneburg. Aber: So wie auch die Umsetzung der Ziele des Radentscheids nur bei ausreichenden finanziellen und personellen Ressourcen möglich ist, so ist es auch bei der Umsetzung des Nationales Radverkehrsplans 3.0. Bis wann die Ziele umgesetzt werden sollen, findet sich darin nicht.

Und hier möchte ich Ihren Blick auf die Realität in unserer Stadt lenken: Der Haushaltsplanentwurf 2023 weist ein Defizit von 40 Millionen Euro auf – bisher, da einige zusätzliche Ausgaben noch nicht berücksichtigt sind, zum Beispiel die vom Kreis beabsichtigte Erhöhung der Kreisumlage und die zusätzlichen Personalkosten.

Dieses Defizit muss über Kassenkredite getilgt und auch die Zinsen müssen daraus bezahlt werden. Und diese Kassenkredite steigen bis 2026 nach der jetzigen Finanzplanung auf über 256 Millionen Euro an. Wir rechnen jetzt mit einem Zinssatz von 3,5 Prozent, Tendenz steigend. Rechnen Sie selbst aus, was wir jährlich dafür an Zinsen zahlen, von der Tilgung ganz zu schweigen. Wir müssen hier gegensteuern, denn eine solche Überschuldung ist weder nachhaltig noch generationengerecht.

Deshalb gilt es, Prioritäten zu setzen.

Unerwartet überfiel Russland im Februar die Ukraine mit einem Angriffskrieg, der die Infrastruktur in diesem Land zerstört und die Menschen zur Flucht zwingt. Wir wollen diese Menschen hier menschenwürdig unterbringen und ihnen Hilfen anbieten, sich hier zurechtzufinden. Das kostet die Hansestadt Millionen. Wie viele Menschen noch zu uns kommen werden, wissen wir noch nicht.

Und Sie wollen, dass wir jetzt in Betonsteine für Radwege investieren.

Die Energiekostensteigerung – bei Fernwärme etwa 350 Prozent – betrifft jeden Bereich unseres Lebens. Auch die Energiekosten für Schulen, Kitas und Verwaltungsgebäude. Etwa 10 Millionen Euro stehen dafür mehr im Haushalt. Fragen Sie mal die Sozialverbände, wie sehr die Zahl der Beratungsgespräche zugenommen hat. Die Menschen haben Angst und wissen nicht mehr weiter.

Und Sie wollen, dass wir jetzt in Betonsteine für Radwege investieren?

Der Bund hat aufgrund dieser Krise das Wohngeld reformiert. Zur Bearbeitung der zusätzlichen Anträge braucht die Stadt Personal. Auch das muss die Stadt finanzieren. Wir müssen unsere Schulen sanieren und ausbauen. Auch das kostet uns zweistellige Millionenbeträge. Allein die WLAN-Ausleuchtung der Schulen kostet die Stadt 3,6 Millionen Euro zusätzlich zum Digitalpakt des Bundes. Die Folgekosten sind da nicht berücksichtigt.

Es gibt in Lüneburg keine Schule, in der alle Räume barrierefrei zugänglich sind. Es gibt sogar einzelne Schulen, in denen kein einziger Raum barrierefrei zugänglich ist. Alle reden hier von Inklusion, aber diese Kosten will keiner wahrhaben. Sie stehen noch nicht einmal in der Finanzplanung der nächsten Jahre. In wenigen Jahren müssen alle Grundschulen Ganztagsschulen sein. Dafür müssen Räume gebaut und Mensen ausgebaut werden.

Fragen Sie mal, wie das Land die Stadt beim Ausbau unterstützt. Fragen Sie mal, welche Verwaltungsbüros barrierefrei zugänglich sind: sehr wenige bis keine.

Hinweis: Der nachfolgende eingerückte Text konnte in der Sitzung nicht mehr vorgetragen werden, da laut der Ratsvorsitzenden die Redezeit von drei Minuten beendet war 

Seit Jahren finden nicht mehr alle Frauen, die häusliche Gewalt erleben, eine sichere Unterkunft im Frauenhaus. Endlich werden Pläne zum Bau eines Frauenschutzzentrums konkret. Die Hansestadt muss und will sich mit mehreren Millionen daran beteiligen und einen Teil der laufenden Betriebskosten tragen.

Durch Tarifänderungen für Kita-Personal muss die Stadt zusätzlich sieben Personen einstellen, um den Betrieb zu gewährleisten. Aufgrund von Fallzahlsteigerungen und der Umsetzung der gesetzlichen Anforderungen an das Bundesteilhabegesetz werden zusätzliche Stellen für sozialpädagogisches Personal benötigt. Glauben Sie nicht, dass wir diese Kosten vom Bund erstattet bekommen.

Das sind nur ein paar Beispiel, die ich weiter fortführen kann, wenn Sie Interesse daran haben.

Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Wollen Sie ernsthaft, dass die Hansestadt jetzt in Betonsteine zur Verbesserung von Radwegen investiert? Wollen Sie ernsthaft, dass die Hansestadt in den Ausbau eines unechten Fahrradstraßenrings 2 Millionen Euro – übrigens ohne Förderung von Bund und land – investiert?

Ich kann verstehen, dass Sie als Lobbyistin Ihr Thema als absolut vorrangig ansehen. Aber die Realität sieht anders aus.

Wir müssen und können nur die notwendigsten Dinge anfangen. Und – auch wenn die Radwegeverbindungen in Lüneburg an vielen Punkten noch besser werden können – so schlecht, dass dies die erste Priorität haben muss, sind sie nicht.

Nennen Sie mir Projekte und Baumaßnahmen, die wir streichen sollen. Denn mit begrenzten Mitteln kann man nicht alles tun. Sollte sich die Haushaltslage kurzfritig bessern, dann können wir die Ziele des Nationalen Radverkehrsplans 3.0 schneller umsetzen. Jetzt fehlen uns dazu die Kapazitäten.

Wir müssen Prioritäten setzen. Und das tun wir, auch wenn es Ihnen nicht gefällt.