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Das Schicksal der Frauen der "Aktion T4"

Bei der Gedenkfeier der "Euthanasie"-Gedenkstätte Lüneburg wurden neue Formen der Erinnerung gefunden  

Die Titelseite des 160 Seiten umfassenden Katalogs zur neuen Sonderausstellung in der "Euthanasie"-Gedenkstätte Lüneburg. Foto: Euthanasie-GedenkstätteLüneburg, 27.08.2019 - "andersartig gedenken – Zukunft braucht Erinnerung" – unter diesem Motto fand am 25. August die diesjährige Gedenkfeier der "Euthanasie"-Gedenkstätte Lüneburg für die Opfer der "Eugenik" und der NS-"Euthanasie" statt. In jedem Jahr setzt die Gedenkstätte einen anderen thematischen Akzent, diesmal war es die Frage: Hat das Erinnern an die NS-Verbrechen eine Zukunft? Ein Schwerpunkt der Veranstaltung galt dem Schicksal der Frauen als Opfer der "Aktion T4".

Welches Schicksal Frauen in der Einrichtung drohte, stellte Dr. Carola Rudnick, wissenschaftliche und pädagogische Leiterin der Gedenkstätte, mit ihrer neuesten Publikation vor. Das in Gemeinschaftsarbeit verfasste Buch zur Sonderausstellung "Still, stumpf, beschäftigt mit Kartoffelschälen, verlegt" dokumentiert die Ergebnisse der zweijährigen Forschungsarbeit, die Frauen als Opfer der "Aktion T4" ins Zentrum rückte. Die zugleich erste regionale Studie zur Umsetzung der ersten "Euthanasie"-Phase im Regierungsbezirk Lüneburg kommt unter anderem zu dem überraschenden Ergebnis, dass Lüneburger Psychiatriepatientinnen ein größeres Risiko als ihre männlichen Mitpatienten trugen, ermordet zu werden. Auch die Auswahl und Anzahl der Patienten sowie der Ablauf ihrer Verlegungen unterscheiden sich von anderen Orten.

19 im Buch veröffentlichte Lebensgeschichten ermordeter Frauen gewähren tiefe Einblicke in die besonders rigide Umsetzung rassenbiologischer Verfolgung und damit verbundene Familienschicksale. Zugleich zeigt das Buch auf, wie Lüneburg als damaliges Machtzentrum ideale Voraussetzungen für die Umsetzung des Konzepts der "Volksgemeinschaft" und für die Radikalität der "rassenhygienische Maßnahmen" vor Ort bot. Die Lüneburger Heil- und Pflegeanstalt war auf dem Gebiet Niedersachsens auch deshalb diejenige Einrichtung, die sich am stärksten an der "Aktion T4" beteiligte.

Dr. Marc Burlon, Ärztlicher Direktor der Psychiatrischen Klinik Lüneburg, hob hervor, dass die Gedenkstättenarbeit auch zukünftig für die gegenwärtige psychiatrische Versorgung wichtige Impulse geben wird. Ulrich Löb, Bürgermeister der Hansestadt Lüneburg, machte ebenfalls Mut: "Nachwachsende Generationen werden eigene, von Erlebnisgenerationen unabhängige, vielleicht auch kreative Wege und Ausdrucksweisen finden müssen, damit gemeinsames Erinnern und Gedenken nicht nur eine leere Worthülse bleibt."

Dass dieses "andersartige Gedenken" gelingen kann, stellten rund 20 Schüler des benachbarten Gymnasiums Herderschule unter Beweis. Sie hatten, angeleitet durch ihre Lehrerin Ute Mattheus und in Kooperation mit der Gedenkstätte, im Frühjahr dieses Jahres ein Theaterstück entwickelt, in dem die Lüneburger "Euthanasie"-Verbrechen in Form einer Szenen-Collage inszeniert werden und einzelner Opfer gedacht wird. Die Aufführung des 20-minütigen Stückes im Beisein von rund 30 Angehörigen bekam nicht nur verdienten Applaus der über 150 Gäste, sondern soll als Schüler-Beitrag eines Bundeswettbewerbs "andersartig gedenken – on stage" im Herbst mit einem Preis ausgezeichnet werden.

"Damit Gedenkstätten für neue Formen der Aneignung und Verarbeitung von Geschichte durch junge, nachwachsende Generationen 'Anker' und 'Medium' sein können, werden sie zukünftig umfangreiches Fachwissen durch unerlässliche Forschung sicherstellen müssen. In diesem Sinne werden sich Gedenkstätten vom Lern- und Erinnerungsort hin zu NS-Forschungsinstituten und Spezialmuseen entwickeln", blickt Rudnick in die Zukunft.

Das Buch von Dr. Carola Rudnick trägt den Titel "Still, stumpf, beschäftigt mit Kartoffelschälen, verlegt" – Frauen als Opfer der "t4" und ist im Husum-Verlag unter der ISBN: 978-3-89876-980-8 erschienen und im Buchhandel für 10,95 Euro erhältlich.