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Platzverbot für Jugendliche?

Offener Brief linker und grüner Organisationen wirft Fragen auf

Der Stint in Lüneburg ist beliebt bei Jung und Alt. Foto: LGheuteLüneburg, 04.08.2022 - Ist Lüneburger Jugendlichen, Auszubildenden, Schülern und Studenten der Aufenthalt in der Stadt, konkret am Stint, untersagt? Diesen – falschen – Eindruck erweckt ein Offener Brief, mit dem Jugendorganisationen aus dem linken und grünen Politspektrum sich an Lüneburgs Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch wenden. Darin beklagen sie, von öffentlichen Plätzen in der Innenstadt verdrängt worden zu sein. CDU und FDP vermuten andere Motive hinter der Aktion.

"Dieses Thema sollte nicht zu Wahlkampfzwecken benutzt werden", sagt Frank Soldan. Der Lüneburger FDP-Politiker gehöre zwar "schon seit längerem nicht mehr" den Jungliberalen an, doch von diesen habe er erfahren, dass eine Beteiligung der FDP-Jugendorganisation an dem Offenen Brief nicht gewünscht gewesen sei. "Wir wollen Euch nicht dabei haben, mit diesen Worten wurde es einem Mitglied der Jungliberalen übermittel", sagt Soldan, der daraus den Schluss zieht, dass hier Wahlkampfmotive vor dem Hintergrund der kommenden Landtagswahl im Oktober die eigentliche Triebfeder seien.

Dabei hat der Liberale durchaus Verständnis für die Situation der Lüneburger Jugendlichen. Mit dem Ende von "Vamos" und "Garage" fehlten den jungen Menschen Treffpunkte, neue seien bislang nicht hinzugekommen. 

Das Fehlen öffentlicher Räume für Jugendliche beklagen auch die Unterzeichner des Offenen Briefs, in dem sie zugleich entsprechende Angebote der Stadt einfordern (siehe unten). Warum sie aber von einer "Verdrängung Jugendlicher von öffentlichen Plätzen" sprechen, ist nicht nachvollziehbar. Denn ein Aufenthaltsverbot für Jugendliche hat die Stadtverwaltung nie ausgesprochen, das dürfte sie auch gar nicht. Was sie untersagt hat, ist das Abspielen von Musik ab 22 Uhr (LGheute berichtete). 

Und damit komme die Stadt sogar ihrer Verpflichtung nach, wie der CDU-Stadtverbandsvorsitzende Alexander Schwake festhält: "Hier gibt es klare gesetzliche Vorgaben, auch zum Schutz der Anwohner." Dass auch die Junge Union nicht mit eingebunden worden sei, bedauert er lediglich "inhaltlich".  "Wir hätten uns gern ähnlich positioniert, aber nicht zusammen mit den Falken" – der sozialistischen Jugend der Linken.

Überdies kann Schwake der Forderung, die Stadt solle Räume für Jugendliche bereitstellen, nichts abgewinnen. "Die Jugendlichen suchen sich ihre Orte selbst." Das zeige auch das Beispiel des "Beach-Clubs", der im vergangenen Sommer an der Bockelmannstraße eingerichtet wurde, um Jugendliche vom "Bridgen" am Stint wegzuholen. "Die Idee hat die Stadt viel Geld gekostet, aber nichts gebracht."

Klar sei aber auch, dass die Stadt für die Sauberkeit und Hygiene in ihrer Stadt und am Stint zuständig sei. Darin sind sich Soldan und Schwake einig. Im Übrigen sei das Problem am Stint "nicht politisch, sondern gesellschaftlich zu lösen", ist Soldan überzeugt. Als Wahlkampfthema eigne es sich jedenfalls nicht. 

Der Offene Brief:

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch,
hiermit wenden wir uns an Sie, um auf eine Situation aufmerksam zu machen, die uns als Lüneburger (Stadt-)Jugend unzufrieden zurücklässt. Mit dem Musikverbot um 21:30 Uhr auf der Mensawiese und um 22:00 Uhr am Stint wurden uns die letzten öffentlichen Orte genommen, an denen wir abends gemeinsam und ohne Konsumzwang Zeit verbringen konnten. Auch wir sind, so wie viele andere Menschen, von der Inflation und steigenden Preisen betroffen. Gerade als Menschen, die noch auf die finanzielle Unterstützung von Erziehungsberechtigten und Angehörigen angewiesen sind, brauchen wir Räume von Seiten der Stadt, um unsere Freizeit selbstbestimmt gestalten zu können, auch wenn unser persönliches Umfeld weniger finanzielle Mittel hat.

Mit der Verdrängung Jugendlicher von öffentlichen Plätzen und dem erzwungenen Ausweichen in den privaten Raum, nehmen Sie der Hansestadt, die sowieso mit einer schwächelnden Innenstadt zu kämpfen hat, ein pulsierendes und attraktives Stadtzentrum. Damit verliert Lüneburg etwas von der Anziehung für Auszubildende, Studierende und Arbeitende, die sich nicht zuletzt wegen der geselligen nächtlichen Atmosphäre der Innenstadt dafür entschieden haben, in Lüneburg zu leben. Aber auch für junge Familien und Schüler*innen wird die Innenstadt fortschreitend kommerzialisiert. Wenn sich diese Verdrängung auch auf den öffentlichen Raum ausweitet, wird dies das Stadtbild nachhaltig verändern. Außerdem möchten wir verhindern, dass Menschen auf Naturschutzgebiete wie den Wilschenbruch ausweichen, und dort möglicherweise Verschmutzungen verursachen.

Im letzten Jahr schrieben Sie noch: “Die pauschalen Verbote, mit denen die Verwaltung jetzt auf das Fehlverhalten weniger reagiert hat, halte ich für überzogen. Der Stint darf nicht nur für zahlende Gäste offen sein.” - Wir sehen hier einen Widerspruch und haben das Gefühl, dass nicht alle Möglichkeiten seitens der Verwaltung zur Schaffung von Lösungen in Betracht gezogen wurden. Gleichzeitig begrüßen wir die Maßnahme des Streetworking am Stint und hätten uns diese bereits vor dem Musikverbot gewünscht.

Durch die Einschränkungen der Corona-Pandemie wurden junge Menschen von einem Tag auf den anderen voneinander getrennt und isolierten sich im Sinne der Solidarität und der kollektiven Gesundheit, denn für uns stand es außer Frage, dass Maßnahmen zur Eindämmung notwendig waren. Junge Menschen verzichteten auf viele Freiheiten und Erfahrungen, die sie in dieser Zeit hätten sammeln können, um sich selbst, aber vor allem die älteren Generationen zu schützen - dies war in vielerlei Hinsicht prägend für uns. Diese Solidarität wünschen wir uns auch andersherum!

Die Stadt hätte viele Möglichkeiten, um öffentliche Räume für alle attraktiver zu machen. Zum Beispiel würden uns (nicht nur als junge Menschen) Mülltonnen sowie Pfandflaschen-Halterungen, öffentliche Toiletten, die auch nachts geöffnet sind, eine Stadtrad-Station und mehr Fahrradständer am Stint entgegenkommen. Räumlichkeiten wie Jugend- und Kulturzentren sind wichtig, um auch unserer Generation Freiräume zu geben. Junge Menschen brauchen für ihre Entwicklung Räume, in denen sie sich treffen und ausprobieren können. Räume, in denen man gemeinsam feiern, gemeinsam lachen und gemeinsam weinen kann. Räume, in denen man nicht dafür bezahlen muss, miteinander Zeit zu verbringen. Wir sehen es in Ihrer Pflicht und in der Pflicht der Stadtplanung, in einen Dialog mit den Jugendlichen der Stadt über ihre Bedürfnisse zu treten und diese zu berücksichtigen. Um den öffentlichen Raum als Aufenthaltsort für junge Menschen attraktiv zu halten, fordern wir:

1. einen zeitnahen und ergebnisoffenen Dialog zwischen allen Beteiligten, also jungen Menschen, der Verwaltung, Anwohnenden, Gastronomie und weiteren Akteur*innen,

2. die Aufhebung des Musikverbots am Stint,

3. eine gute Infrastruktur mit öffentlichen Toiletten, einer Stadtrad-Station und Fahrradständern, ausreichend Müll- und Pfandbehältern am Stint,

4. eine stärkere Partizipation und Mitbestimmung von jungen Menschen in Entscheidungen, die sie betreffen und

5. eine möglichst schnelle Eingliederung entkommerzialisierter Räume für die Jugend ins Stadtbild.

Mit freundlichen Grüßen, Jusos Lüneburg, Sozialistische Jugend Lüneburg – Die Falken, Grüne Jugend Lüneburg, Links Jugend ['solid] Lüneburg, Stadtjugendring Lüneburg, AStA Uni Lüneburg, Antifa Jugend Lüneburg, Juso Hochschulgruppe Lüneburg, Campus Grün Lüneburg, Die Linke SDS.


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