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Wirtschaftsminister Althusmann hält weiter an "Alpha-E" fest, schließt aber Raumordnungsverfahren nicht mehr aus

Für die "Alpha-E"-Variante stehen die Signale derzeit auf Rot. Im Fokus steht nun ein Trassen-Neubau entlang der A7. Foto: LGheuteLüneburg, 11.07.2022 - Die Realität ist häufig anders als die Vorstellung, die viele von ihr haben. Diese Erfahrung machen derzeit die Befürworter der Bahn-Ausbauvariante "Alpha-E", in erster Linie Kommunen, die den Bau einer neuen Trasse zwischen Hamburg und Hannover durch ihre Region verhindern wollen. Das Problem: Mit "Alpha-E" lassen sich die Ziele der Bahn gar nicht verwirklichen, wie umfangreiche Untersuchungen ergeben haben. Der Bau einer neuen Trasse entlang der A7 wird damit immer wahrscheinlicher. Niedersachsens Wirtschaftsminister Bernd Althusmann aber will das noch nicht wahrhaben. 

Frühzeitig schon hatte Althusmann sich an die Seite der "Alpha-E"-Enthusiasten gestellt, wohl in der Annahme, dass deren Votum im "Dialogforum Schiene Nord" so etwas wie Gesetzeskraft hat. Als dann auch noch der Landtag in Hannover sich diesem Votum anschloss, schien ein anderer Weg so gut wie ausgeschlossen.

Doch Kommunal- wie Landtagspolitiker hatten die Rechnung ohne die Bahn gemacht. Die hatte 2015 zwar zu dem Dialogforum eingeladen, dessen  Ergebnis aber als das angenommen, was es war: eine Empfehlung, keine vorweggenommene Entscheidung. Denn für eine solche musste zunächst geprüft werden, ob die Empfehlung auch mit den Bahn-Zielen – mehr Güterverkehr, schnellere Verbindungen zwischen den Metropolen, kürzere Taktungen im Nah- und Fernverkehr – in Einklang zu bringen war.

Das Ergebnis war ernüchternd. Der dreigleisige Ausbau der Bestandsstrecke brachte es nach den Berechnungen der Bahn nicht, vor allem die Haltepunkte entlang der Strecke stellten sich als schier unüberwindbare Hindernisse dar. Und selbst ins Auge gefasste Umfahrungen wie etwa von Lüneburg brachten nicht den gewünschten Effekt, dafür aber den Protest der betroffenen Kommunen.

Die Bahn weitete daraufhin ihren Untersuchungsradius weiter aus und landete zuletzt wieder dort, wo sie ursprünglich gestartet war: an einer Neubautrasse entlang der A7.

◼︎ Althusmann setzt weiter auf Neubau-Kritiker

Althusmann scheint all das jedoch nur wenig zu interessieren. Unverändert hält er an der Realisierung von "Alpha-E" fest, zuletzt in der vergangenen Woche, als er die Landräte, Verwaltungschefs und Landtagsabgeordneten der betroffenen Kommunen nach Hannover eingeladen hatte, um sie über Kenntnisse und Haltung des Landes zu informieren. Dabei sprach er von "utopischen Planungen eines Neubaus entlang der A7" und erneuerte seine Erwartungen an die Deutsche Bahn bezüglich der Ausbaustrecke.

"Alpha-E" werde "endlich für mehr Kapazitäten im Schienennetz sorgen", zeigte sich der Verkehrsminister auch nach dem Treffen weiter überzeugt. Das verwunderte insofern nicht, da er nach wie vor auf die Unterstützung derjenigen Kommunen setzen kann, die eine Bahnlinie partout nicht in ihrem Dunstkreis haben wollen.

◼︎ Stadt glänzt durch Abwesenheit

Allerdings gibt es auch Stimmen gegen Alpha-E, unter anderem von Stadt und Landkreis Lüneburg, die seit langem schon einen Ausbau der Bestandsstrecke ablehnen. Allerdings war von beiden lediglich der Landkreis in Hannover vertreten. Lüneburgs Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch hingegen glänzte durch Abwesenheit, selbst ein Vertreter wurde nicht nach Hannover entsandt. Angeblich aus Termingründen.

Die Fahrt nach Hannover hätte sich aber durchaus gelohnt. Denn dort hätte die Stadt erfahren, was letztlich Böther mit nach Lüneburg brachte: Nach jahrelangem Widerstand überlege das Wirtschaftsministerium, beim Ausbau der Schieneninfrastruktur zwischen Hamburg und Hannover doch noch in das für große Vorhaben gesetzlich vorgesehene Raumordnungsverfahren einzusteigen. Für Böther ein Schritt in die richtige Richtung: "Ein Raumordnungsverfahren, das alle Interessen fachlich prüft und gegeneinander abwägt, begrüße ich grundsätzlich sehr."

◼︎ Böther gegen politische Einflussnahme auf den Planungsprozess

Böther stellte zugleich klar, dass der Landkreis Lüneburg jede Streckenführung akzeptieren werde, "die in einem faktenbasierten, fachlich fundierten Verfahren zustande kommt – auch wenn wir selbst betroffen sein werden". Ein Raumordungsverfahren sei dazu unverzichtbar. Eine politische Einflussnahme auf den fachlichen Planungsprozess aber lehne er ab – eine klare Ansage in Richtung Althusmann.

Von Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch war auch nach dem Treffen nichts zu hören. Und selbst für die Beantwortung einer LGheute-Nachfrage, welche Position die Stadt denn nun einnehme, brauchte sie eine ganze Woche. Die Antwort: "Wichtig im Zusammenhang mit der städtischen Position ist, dass die Hansestadt jedwede Trassenvariante nicht unterstützen kann, die zukünftige städtebauliche Entwicklungsmöglichkeiten unterbindet bzw. mit den Bedarfen eines wachsenden Oberzentrums mit hoher Attraktivität nicht vereinbar ist. Eine valide Untersuchung der bahntechnisch umsetzbaren Trassenverläufe unter Betrachtung aller Schutzinteressen muss im Rahmen einer abwägungsfehlerfreien Planung Basis der Empfehlung einer Vorzugsvariante sein." Vielleicht war es ja doch ganz gut, dass die Stadt es Landrat Böther überließ, ihre Interessen in Hannover zu vertreten.

Böther hingegen nutzte die Gelegenheit, mit einer "Legende rund um den notwendigen Schienenausbau" aufzuräumen: "Angeblich gab es einen niedersachsenweiten Konsens zu "Alpha-E". Dem stelle ich mich klar entgegen", so der Verwaltungschef. "Die Kommunen im Landkreis Lüneburg haben sich immer wieder kritisch zum Ausbau der Bestandsstrecke geäußert." Dem Dialogforum sei lediglich zugesagt worden, einen Vorschlag zu prüfen, mehr nicht. "Hauptbetroffene haben damals dagegen gestimmt", betont auch Erster Kreisrat Jürgen Krumböhmer und erinnert daran, dass die Bürgerinitiative Deutsch Evern bei dem Dialogforum Schiene Nord sogar "vor der Tür bleiben musste".

◼︎ Raumordnungsverfahren kein Muss

Ob es tatsächlich zu einem Raumordnungsverfahren kommt, ist nach Ansicht von Monika Scherf jedoch offen. "Die Politik entscheidet, welche Variante am Ende umgesetzt wird. Das könnte sie auch ohne dieses Verfahren beschließen", sagt Scherf in ihrer Eigenschaft als Landesbeauftragte und Chefin des Amtes für regionale Landesentwicklung Lüneburg. Von ihrer Behörde würde das Raumordnungsverfahren dann auch durchgeführt werden. Scherf jedenfalls rät dringend dazu: "Wir plädieren für ein sauberes rechtliches Verfahren. Im ersten Schritt wäre dies ein Raumordnungsverfahren." 

Möglich sei aber auch, dass der Bundestag als letzte politische Instanz allein nach Kostengründen entscheidet, erläutert Scherf. Angesichts der explodierenden Ausgaben durch Corona und Krieg in der Ukraine kein unrealistisches Szenario. Die Bahn jedenfalls arbeitet daran, die Kosten nicht explodieren zu lassen, wie von dem Unternehmen immer wieder betont wird. 

Lesen Sie hierzu auch den Kommentar.