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600.000 Euro-Auftrag ohne Ausschreibung

Kreisverwaltung vergibt Auftrag ohne öffentliche Ausschreibung und lässt Kreistag im Dunkeln

Das Kreishaus in Lüneburg. Foto: LGheuteLüneburg, 20.04.2023 - Kommunen müssen Aufträge ab einem Wert von 215.000 Euro europaweit ausschreiben. So will es das deutsche und europäische Vergaberecht. Doch der Landkreis Lüneburg sieht sich daran offenbar nicht gebunden, wie aus einer Vorlage für die heutige Kreistagssitzung hervorgeht. Danach soll ein Unternehmen für Beratungsleistungen für die neue kreiseigene "MOIN"-Gesellschaft ohne Ausschreibung beauftragt werden. Auftragsvolumen: 624.800 Euro. 

Der Landkreis Lüneburg will den Öffentlichen Personen-Nahverkehr auf neue Füße stellen und die Mobilität in seiner Region klima- und zukunftssicher machen. Dazu wurde kürzlich die Mobiltätsinfrastruktur und -betriebs GmbH Landkreis Lüneburg, kurz MOIN, ins Leben gerufen. Die mögliche Bandbreite der Gesellschaft reicht von der Bereitstellung von Fahrzeugen bis hin zum Aufbau eines Verkehrsunternehmens. Wohin sich die Gesellschaft genau entwickelt, sollte ein Strukturgutachten klären. Dabei soll auch ermittelt werden, welche Rolle der Landkreis künftig in der Gestaltung des ÖPNV spielen soll (LGheute berichtete).

Das Strukturgutachten, das seit dem 8. Februar vorliegt, wurde von der Ernst & Young Law GmbH erstellt. Darin wird unter anderem empfohlen, dass "MOIN" sich bei seinen umfangreichen Aufgaben professionell beraten lässt, und zwar am besten von: Ernst & Young Law GmbH. Das jedenfalls ist einer Mitteilung zu entnehmen, die der Landkreis auf "TED" veröffentlichte, einem elektronischen Amtsblatt der Europäischen Union. In den Kreistagsunterlagen sind diese Informationen allerdings nicht zu finden.

◼︎ Informationen im Internet versteckt

In der dort veröffentlichten sogenannten Ex-ante-Transparenzbekanntmachung vom 11. April 2023 wird detailliert beschrieben, worum es in der Beauftragung geht: "Juristische Beratungsleistungen: Begleitung eines Umgestaltungsprozesses im Bereich des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) im Landkreis Lüneburg". Und weiter: "Der juristisch zu begleitende Transformationsprozess des ÖPNV ist auf Basis der Ergebnisse eines vorliegenden Strukturgutachtens, insbesondere eines zu diesem als Annex erarbeiteten Meilensteinplans durchzuführen." Auftragsvolumen: 624.800 Euro netto. Auftragnehmer: Ernst & Young Law GmbH.

Sinn und Zweck einer Ex-ante-Transparenzbekanntmachung ist die Mitteilung, dass ein Auftrag ohne die dafür eigentlich vorgeschriebene öffentliche Ausschreibung vergeben werden soll. Dafür ist auch eine Begründung anzugeben. Wettbewerbern wird so Gelegenheit gegeben, innerhalb von wenigen Tagen Einspruch einzulegen. 

◼︎ Ukraine-Krieg Grund für Verzicht auf Ausschreibung

In der Begründung des Landkreises heißt es: "Es liegen besondere Umstände vor, weshalb es dem Landkreis Lüneburg als öffentlichem Auftraggeber ausnahmsweise nicht möglich ist, die zwingend benötigten anwaltlichen Beratungsleistungen im Rahmen eines Wettbewerbs in Gestalt der Durchführung eines offenen oder nicht offenen Verfahrens, oder eines Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb zu vergeben."

Als "besondere Umstände" nennt der Landkreis zum einen die noch bestehenden Vertragslaufzeiten mit der KVG, die laut Kreis am 31. Dezember 2025 enden – die aber von ihm selbst herbeigeführt wurden. Zum anderen nennt er die Covid-Pandemie und den Ukraine-Krieg. Wörtlich heißt es: "U.a. aufgrund des unerwarteten russischen Angriffskrieges auf die Ukraine am 24.02.2022, welcher sich unmittelbar nach der weltweiten Covid-19 Pandemie ereignete, wurden die ohnehin schon stark ausgelasteten personellen Mittel noch mehr ausgelastet, ohne dass der Landkreis diesem Umstand entgegentreten konnte." Und etwas weiter: ""Die Einhaltung der vorgegebenen Zeitschiene innnerhalb des bereits begonnenen 2. Quartals 2023 bis zum 31.12.2025 ist nur unter einer kontinuierlichen, effizienten Ausführung der benötigten Dienstleistung möglich ...".

Für Dietrich Bilgenroth, der für die Partei die Basis im Kreistag sitzt, ist dieses Vorgehen mehr als unverständlich. "Die Begründungen sind absurd", sagt Bilgenroth, der selbst Experte für Vergabeverfahren ist. Auch wundere er sich, warum nicht der Landkreis Harburg die Vergabe durchgeführt hat, denn dieser hat die Vergaben für den Landkreis Lüneburg mangels eigener Vergabestelle übernommen – gegen Bezahlung natürlich. "Da könnte man natürlich fragen, wenn unser Landkreis beziehungsweise seine Mitarbeiter überlastet sind, hätte dann nicht vielleicht die Vergabestelle des Landkreises Harburg für unseren Landkreis Lüneburg einen Wettbewerb, in welcher Form auch immer, durchführen können?", fragt Bilgenroth.

Bilgenroth sieht hierin bereits einen weiteren Verstoß gegen das Vergaberecht, nachdem deutlich geworden war, dass der Landkreis einen 500.000-Euro-Auftrag ohne Ausschreibung an die Picture GmbH vergeben will (LGheute berichtete).

◼︎ Sollte Vergabe vertuscht werden?

In der heutigen Kreistagssitzung will Bilgenroth die Vergabe an Ernst & Young Law GmbH ansprechen. Er dürfte vermutlich der Einzige sein, denn in den Unterlagen, die von der Kreisverwaltung den Kreistagsmitgliedern vorgelegt wurden, steht davon nichts. "Ich habe nach der Vergabe an die Picture GmbH mal bei TED nachgeschaut und bin dort fündig geworden", so Bilgenroth. Er sieht darin deshalb auch den Versuch der Kreisverwaltung, den Kreistagsmitgliedern die Vergabe zu vertuschen.