Ein Afghane entzieht sich zwei Mal der Abschiebung und bekommt trotzdem mehr Geld vom Staat
Celle, 23.06.2025 – Finde den Fehler: Ein nicht anerkannter Asylbewerber aus Afghanistan soll abgeschoben werden, wird aber zwei Mal nicht "angetroffen". Daraufhin kürzt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Leistungen nach dem Asylbewerber-Leistungsgesetz (AsylbLG). Dagegen wehrte sich der Betroffene und bekommt Recht vorm Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen.
Die Auffassung des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen: Ein Leistungsausschluss für Asylbewerber könne aufgrund verfassungs- und europarechtlicher Vorgaben vorläufig nicht zum Tragen kommen. Doch warum nicht? Hier der Sachverhalt und die Begründung des Gerichts:
Zugrunde lag ein Eilverfahren eines 29-jährigen Afghanen, der im April 2024 mit einem polnischen Schengen-Visum nach Deutschland eingereist war und einen Asylantrag gestellt hatte. Nach Zuweisung in eine niedersächsische Gemeinde wurde er in einer Unterkunft untergebracht. Das BAMF lehnte den Asylantrag als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Polen an. Die polnischen Behörden hatten der Rückübernahme zuvor zugestimmt. Zwei geplante Überstellungen scheiterten allerdings, weil der Afghane nicht angetroffen wurde. Berichte über seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Unterkunft widersprachen sich laut Gericht. Das BAMF verlängerte die Überstellungsfrist daher bis Dezember 2025.
Bis November 2024 erhielt der Mann Leistungen nach dem AsylbLG. Danach wurden die Leistungen eingestellt, lediglich Unterkunft und punktuelle Sachleistungen zur Ausreise wurden gewährt.
Hiergegen wandte sich der Afghane mit einem Eilantrag. Laut LSG argumentierte er, der pauschale Leistungsausschluss sei verfassungsrechtlich bedenklich und auch europarechtlich bestünden Zweifel an der Zulässigkeit. Ihm sei eine freiwillige Ausreise im Dublin-Verfahren faktisch nicht möglich, weshalb der Leistungsausschluss gegen die Menschenwürde verstoße. Der BAMF-Bescheid enthalte keine Feststellung zur tatsächlichen und rechtlichen Ausreisemöglichkeit. Polen nehme aktuell keine Rückführungen mehr an.
◼︎ Freiwillige Ausreise nicht vorgesehen
Dass der Afghane nicht angetroffen wurde, er aber dennoch einen rechtswirksamen Eilantrag einreichen konnte, war für das LSG offenbar nicht von Bedeutung. Vielmehr verpflichtete es das BAMF vorläufig zur Fortzahlung der kompletten Leistung. Zur Begründung führte es aus, dass zwar die asylrechtliche Entscheidung und Abschiebungsanordnung des BAMF bindend seien. Allerdings müsse nach der in Rechtsprechung wie Literatur noch nicht geklärten Rechtslage die freiwillige Ausreise tatsächlich und rechtlich möglich sein. Diese Möglichkeit müsse "im Lichte der Grundrechte und unter Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände" eigenständig geprüft werden.
Eine freiwillige Ausreise sei dem Antragsteller im konkreten Fall nicht möglich, so das Gericht. Sie sei in Dublin-III-Verfahren regelhaft nicht als Überstellungsart vorgesehen, da hier fast ausschließlich eine Abschiebung zum Tragen komme. Wegen der Vorgaben für eine menschenwürdige Mindestsicherung des Lebensunterhalts nach der für Asylbewerber geltenden Aufnahmerichtlinie bestehe zudem ein erhebliches unionsrechtliches Klärungsbedürfnis. Eine spätere Vorlage an den Europäischen Gerichtshof erscheine nicht ausgeschlossen.