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Keine Frage der Gerechtigkeit

12.10.2021 - Es ist nicht das erste Mal, dass die deutsche Bevölkerung Auskunft über ihre persönlichen Lebensverhältnisse geben muss. Bereits im Deutschen Reich fanden ab 1875 alle fünf Jahre Volkszählungen statt, im Königreich Preußen sogar schon ab 1816. Die Daten, so die Erheber, seien wichtig für künftige Planungen. Viele Entscheidungen in Bund, Ländern und Gemeinden beruhten schließlich auf Bevölkerungs- und Wohnungszahlen, heißt es zur Begründung. Das ist sicher richtig, nur: Welche Entscheidungen sind konkret damit verbunden?

Wohnraum ist knapp in Deutschland, derzeit fehlen laut Mieterbund rund 630.000 Wohnungen. Wo die herkommen sollen, ist angesichts fehlender Bauflächen, Hürden bei den Bauvorschriften, überforderter Bauämter, explodierender Baupreise sowie drohender Mietendeckel und Enteignungen unklar. Aber auch die Ansprüche an den Wohnraum steigen. Laut Statistischem Bundesamt betrug die Wohnfläche je Einwohner Ende 2019 durchschnittlich 47 Quadratmeter. Damit hat sie sich seit 2010 um zwei Quadratmeter erhöht.

In Teilen der Politik wird deshalb immer mal wieder darüber nachgedacht, den bereits vorhandenen Wohnraum "gerechter" zu verteilen. Die Ergebnisse des "Zensus 2022" mit seiner kombinierten Wohn- und Gebäudezählung könnten dafür die erforderliche Grundlage bilden. Schließlich müssen Wohneigentümer Auskunft darüber geben, wie sie ihren Wohnraum nutzen. Dabei wird offengelegt, wer aus dem statistischen Rahmen fällt, sprich: zu viel Wohnraum für sich beansprucht.

Der "Zensus 2022" ist damit nicht so unspektakulär, wie bisweilen vorgegeben wird. Denn schnell können aus den Ergebnissen politische Forderungen und Programme gestrickt werden, die weit ins Private hineinreichen: etwa, ob der alleinige Verbleib in der bisherigen Wohnung noch gerechtfertigt ist, wenn darin vielleicht eine ganze Familie statt wie bisher nur eine Einzelperson wohnen könnte.

Ob es dazu kommt, bleibt abzuwarten. Noch deutet nichts in Richtung Zwangseinweisung in die eigenen vier Wände. Schon deshalb nicht, weil davon dann auch Teile derjenigen betroffen wären, die mehr Gerechtigkeit stets gern bei anderen einfordern. Solange dieses Dilemma ungelöst bleibt, dürfen Eigentümer wohl noch eine Weile ruhig schlafen.

Ein Kommentar von Ulf Stüwe
zum Beitrag "Wer bewohnt welchen Wohnraum?"