header

Neonazi als Schiedsperson?

Linke kritisieren Bewerberliste – Verwaltung erinnert an Rechtsstaatsprinzip

Vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich, so will es das Grundgesetz. Wie aber ist es mit Bewerbern für ein Amt als Schiedsperson? Foto: LGheuteLüneburg, 10.10.2020 - Welche Eigenschaften muss ein Bewerber haben, der das Amt der Schiedsperson bekleiden möchte? Diese Frage steht im Raum, nachdem der Rat der Stadt Lüneburg in seiner jüngsten Sitzung eine Auswahl aus zehn Personen treffen musste, die sich für das Ehrenamt beworben hatten. Weil auf der Liste der Kandidaten für die kommende Amtsperiode von 2021 bis 2025 laut Angaben der Fraktion der Linken auch ein Neonazi gewesen sein soll, kritisiert sie die Verwaltung und fordert die Einrichtung eines Prüfprozesses. Die Verwaltung weist die Vorwürfe zurück.

"Die Verwaltung hat seit den Schöffen-Wahlen 2018 offenbar nichts dazugelernt und legt dem Rat erneut einen Wahlvorschlag vor, ohne offensichtlich die Verfassungstreue der Kandidierenden geprüft zu haben“, wirft Michèl Pauly, Fraktionsvorsitzender der Linken, der Verwaltung vor. Diese hatte die Liste dem Rat vorgelegt, der daraus zwei Schiedspersonen und einen Stellvertreter wählen sollte. Der Streitpunkt: Auf der Liste soll sich auch eine Person befunden haben, die sich offen als Neonazi bekenne und unter anderem in Organisationen der NPD beheimatet sei. Die Linken berufen sich dabei auf Erkenntnisse der Antifaschistischen Aktion (Antifa) in Lüneburg.

Die Linken nehmen den Vorgang zum Anlass, die Verwaltung per Prüfantrag aufzufordern, "wie innerhalb des geltenden Rechtsrahmens ein Prüfprozess für Wahlvorschläge für die Ämter der Schiedspersonen und der Schöffen durch die Verwaltung eingerichtet und ausgestaltet werden kann, der es ermöglicht, Personen mit verfassungsfeindlichen, anti-demokratischen Hintergründen nach klaren Kriterien (z.B. Zugehörigkeit zu verfassungsfeindlichen Parteien und Gruppierungen) zu identifizieren und den Ratsmitgliedern das Ergebnis dieses Prozesses vor den entsprechenden Wahlen rechtskonform transparent zu machen", wie es in dem Antrag für die kommende Ratssitzung heißt. Dies auch vor dem Hintergrund, dass bereits 2018 mehrere "einschlägig bekannte Personen der extrem Rechten" als Schöffen kandidiert hätten, wie die Linke ergänzt. Auch damals habe die Verwaltung die Namen trotz entsprechender Hinweise auf die rechte Gesinnung zweier Kandidaten und "ohne Prüfung der Verfassungstreue durchgewunken".

Die Stadtverwaltung reagiert irritiert auf den Vorwurf, nicht dazugelernt und die Verfassungstreue nicht geprüft zu haben. "Auf welcher Rechtsgrundlage soll ich den Leuten in den Kopf schauen?", fragt Wolfgang Sorger, Leiter des Rechtsamts der Stadt Lüneburg. Zur Erläuterung verweist er auf klare Vorgaben, die im Niedersächsischen Schiedsämtergesetz festgelegt sind. Danach muss ein Bewerber mindestens 30 Jahre alt sein, seinen Wohnsitz in Lüneburg haben und darf weder vorbestraft noch unter Betreuung stehen. Außerdem muss er "nach Persönlichkeit und Fähigkeit für das Amt geeignet sein". 

In dem betreffenden Fall sieht Sorger daher "keine Handhabe", die Person nicht in die Bewerberliste aufzunehmen, "schließlich leben wir in einem Rechtsstaat", wie der Rechtsamtsleiter betont. Sollte sich aber im Nachhinein herausstellen, dass eine Wahl nicht gerechtfertigt war – etwa wenn Pflichten bei der Amtsausübung verletzt werden, die Person sich als unwürdig für dieses Amt erweist oder es aus gesundheitlichen Gründen nicht ausüben kann –, könne die Wahl auch korrigiert werden. "Die Entscheidung dafür liegt dann aber beim Oberlandesgericht."

Dazu wird es aller Voraussicht nach aber gar nicht kommen. Denn bereits im Vorfeld der Wahl im Rat wurde im Verwaltungsausschuss auf das Problem "unter Beachtung des Datenschutzes" hingewiesen. Der Rat reagierte daraufhin souverän: Es wurden die amtierenden Schiedspersonen für fünf weitere Jahre gewählt, die betreffende Person war nicht dabei. 

◼︎ Was macht eine Schiedsperson? 

Sie haben eine vermittelnde Funktion, versuchen im Sinne streitender Parteien eine Lösung zu finden und so teure Auseinandersetzungen vor Gericht zu vermeiden: die Schiedsleute. Getreu dem Motto "Schlichten statt Richten" sind in der Hansestadt Lüneburg seit vielen Jahren ehrenamtliche Schiedspersonen erste Ansprechpartner für Nachbarschafts- und andere Streitigkeiten. Spezielle Vorkenntnisse sind dafür nicht erforderlich, mitzubringen sind aber eine gesunde Menschenkenntnis, Lebenserfahrung, Geduld, die Fähigkeit schriftliche Vergleichsprotokolle abzufassen und die Bereitschaft, an Aus- und Fortbildungsangeboten teilzunehmen sowie etwas Zeit. (Quelle: Internetseite der Stadt Lüneburg)

Lesen Sie dazu auch den Kommentar.