Mit einer Lesung einer Wirtschaftsjournalistin hofft die lokale Wirtschaft auf mehr arbeitswillige Frauen
Lüneburg, 17.05.2017 - Über die "Herausforderungen berufstätiger Mütter" spricht die Wirtschaftsjournalistin Stefanie Bilen am 30. Mai um 19.30 Uhr bei einer Lesung aus ihrem Buch "Mut zu Kindern und Karriere – 40 Working Moms erzählen, wie es funktionieren kann". In Wirklichkeit aber ist es das genaue Gegenteil: Die Zumutung nämlich, von Frauen nicht nur die Last der Erziehung, sondern auch noch den alltäglichen Kampf in einem anspruchsvollen Vollzeitjob zu erwarten. Denn nicht das Wohl von Mutter und Kind steht im Mittelpunkt, sondern die Sorge um eine immer größer werdende Fachkräftelücke in der Wirtschaft. Das wird sogar offen zugegeben.
"Gut qualifiziert, hoch motiviert und innovativ: Das zeichnet insbesondere Frauen aus, die Kinder und Beruf miteinander vereinbaren wollen", heißt es in der Ankündigung der IHK Lüneburg-Wolfsburg. Damit wird deutlich, worum es Autorin Stefanie Bilen und den Veranstaltern geht: Die Potenziale weiblicher Arbeitskräfte in Zeiten des Fachkräftemangels stärker zu nutzen. Stefanie Bilen, Co-Gründerin eines Online-Business-Magazins für Frauen, gibt die Messlatte schon mal vor: Sie selbst sei Mutter von zwei Töchtern und wisse, was es bedeutet, Dienstreisen oder Vorstandsinterviews mit Theatervorführungen an der Schule oder Mathe-Hausaufgaben zu vereinbaren. Das aber nennt sie nicht Zumutung, was es tatsächlich ist, sondern "Herausforderung". Unterschwellig wird allen Frauen nebenbei noch mitgegeben: Mädel, wenn ihr noch nicht mal auf der Ebene der Vorstandsinterviews angekommen seid, könnt ihr ohnehin noch gar nicht mitreden.
Und auch die Veranstalter sprechen aus, was ihnen tatsächlich am Herzen liegt: nicht das Wohl von Müttern und Kindern, sondern "die Karrierepotenziale von Frauen noch stärker als Erfolgsfaktor zu nutzen – vor allem in Zeiten des demografischen Wandels und fehlender Fachkräfte". Dazu wird nun auch der Teilzeitbeschäftigung von Frauen offen der Kampf angesagt: "Die Erhöhung der Frauenerwerbsquote bei gleichzeitiger Reduzierung der Teilzeitquote ist folgerichtig eines der Themen, das die Fachkräfteallianz mit der vereinten Kraft ihrer 14 Partner angeht und weiter vorantreiben möchte. Denn die doppelte Berufstätigkeit von Paaren entlastet den Arbeitsmarkt heute, ihre Kinder tun es morgen."
Wer sich anhören möchte, welche familienfeindlichen Botschaften Autorin Stefanie Bilen, die offenbar mehr im Dienst der Industrie als der Frauen zu stehen scheint, sonst noch anzubieten hat, sollte sich zu der Lesung anmelden unter www.fachkraefteallianz-non.de/lesung-workingmoms. Proteste und Kritik gegen ideologisierte Karrierefrauen-Bilder zur Verhinderung von Fachkräftelücken in der Wirtschaft – die es bis heute nicht geschafft hat, Frauen den gleichen Lohn wie Männern zu zahlen – können aber auch bei der Allianz für Fachkräfte Nordostniedersachsen, Tel. 04131-742-161, oder
Die kostenfreie Lesung in der Buchhandlung Bücher am Lambertiplatz ist Teil der Veranstaltungsreihe Dialog Familienfreundlichkeit der Allianz für Fachkräfte Nordostniedersachsen und findet in Kooperation mit der Koordinierungsstelle Frau & Wirtschaft Lüneburg-Uelzen statt.
Das darf natürlich passieren, soltte es aber nicht.
Worum geht es? In dem ausgesprochen gründlich recherechierten und hochdifferenziert geschriebenen Buch kommen arbeitende Mütter zu Wort, die natürlich einem nicht mehr gerechtfertigten, frauenverachtenden und familenfeindlichen Apparat, der immer noch in Deutschland anzutreffen ist, missfallen. Warum? Ganz einfach:weil sie beweisen, dass Karriere auch weiblich und Kinderbetreuung nicht nur mütterliche Aufgabe ist. Nichts spricht heitzutage mehr dagegen, ausser eben rückwärtsgewandte Traditionalisten, die sich in ihrem löchrigen Selbstverständnis als Mann bedroht fühlen.
Insgesamt armselig, was wir hier lesen dürfen, aber der Kommentar sagt dann doch mehr über das Blatt als über das Buch.
Auch sollte die Tatsache, dass eine Autorin über weibliche Möglichkeiten der Vereinbarkeit von Familie und Beruf berichtet, in der heutigen Zeit kein Aufreger sein. Eher die Tatsache, dass Sorgearbeit offensichtlich allein Frauen zugeschrieben wird. Viele sehen die häuslichen Kompetenzen des Mannes offenbar auf Müll rausbringen beschränkt. Wieso bekommen Männer mit Familie eigentlich nicht die gleichen Vorwürfe zu hören, wenn sie Vollzeit arbeiten? Was abgesehen davon unabhängig des Geschlechts eine private Entscheidung ist.
Zur Frage der Autorenschaft: LG HEUTE wird meines Wissens von Ulf Stüwe betrieben, der für die Lüneburger Landeszeitung arbeitet; schlimm genug.
Eine funktionierende Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen wird es wohl zwangsläufig auf Kosten männlicher Freiheit und deren beruflichen Unabhängigkeit geben. Das kann schon dem einen oder anderen Angst machen. Muss es aber nicht, von der Vereinbarkeit können eigentlich alle nur profitieren.
Was ärgerlich ist: hinter dem Schutzschild vorgeheuchelter Sorge um arbeitende Mütter versteckt ausgerechnet eine arbeitende Mutter wie Stefanie Bilen feindlich und nur kurz oberhalb der Gürtellinie anzugreifen. Das muss wirklich nicht sein.
Aber solange Themen keine wirtschaftliche Relevanz besitzen, verebben sie gerne als störendes Grundrauschen in unserer seit jeher männerdominierten Wirtschaftsgesellschaft. Dieser Umstand ist keine neue Erkenntnis. Sie haben Recht, das sollte sicherlich kritisch hinterfragt werden.
Aber: Aber wird das Thema Vereinbarkeit aus Sicht der Frauen weniger wichtig für unsere Gesellschaft, nur weil es eine wirtschaftliche Relevanz besitzt und so mit mehr Nachdruck verfolgt wird? Ich denke nicht. Jedes Engagement, das unsere Gesellschaft dahingehend verändert, dass sich Frauen und Männer trotz Kindern gleichermaßen beruflich (weiter)entwickeln können, ist wichtig.
Daher ist es sicherlich wichtig, dass zu der Veranstaltung am 30.05. sowohl "Befürworter" als auch "Skeptiker" kommen um gemeinsam in einen Dialog zu treten. Ich bin sehr gespannt - und habe jetzt noch mehr Lust auf die Veranstaltung als vorher.
Ja, es wäre für die regionale Wirtschaft toll, wenn mehr Frauen arbeiten und wenn sie ggf. auch länger arbeiten würden. Und ja, es wäre für unsere Gesellschaft gut, wenn, wie in Skandinavien, sich mehr Paare trotz doppelter Berufstätigkeit für Kinder entscheiden würden – am besten mehr als eines. Dies geht aber natürlich nur mit guter Kinderbetreuung, flexiblen Arbeitszeiten, verständnisvollen Arbeitgebern, einem Vater, der sich für die Familie auch mit verantwortlich fühlt, und guter Selbstorganisation. Wer sich für Erfahrungswerte arbeitender Mütter bei diesen Herausforderungen interessiert, erlebt mit Frau Bilen einen interessanten Abend.